In Trauer getröstet
Die richtige Lehre, überzeugende Beweistexte, inspirierende Predigten über die Zuversicht der Auferstehung – wir kannten alles! Ich hatte zig Bibelstunden über die großartige biblische Sicht vom Tod gegeben. Mein Mann hatte so manche mitreißende Predigt über die Auferstehungshoffnung gehalten. Wir hatten keinerlei Zweifel an diesem Glaubenspunkt, keinen Mangel an Belegstellen.
Doch jetzt standen wir vor der Situation, dass die kalten Finger des Todes in unser eigenes Leben griffen und die Liebe und Gemeinschaft bedrohten, die wir seit beinahe 30 Jahren genossen hatten. Würden uns die aufbauenden Predigten, die richtige Lehre und unsere gemeinsame Hoffnung durchtragen? Würden wir in der Lage sein, die Realität im Glauben zu akzeptieren? Würde mein Mann loslassen können, friedlich sterben und mich der Fürsorge Gottes anbefehlen? Könnte ich ihm die Erlaubnis geben, in Frieden zu gehen, und die Zusicherung, dass ich auch allein die Zukunft mutig und vertrauensvoll angehen würde?
Was trägt mich, wenn es ernst wird?
Als Krankenhaus-Seelsorgerin hatte ich am Bett vieler sterbender Patienten gestanden und ihre trauernden Familien getröstet. Jetzt sollte ich selbst dieses schlimme Leid erfahren – zuzuschauen, wie ein geliebter Mensch seinen letzten Atemzug tut; den letzten, schmerzlichen Abschied zu nehmen; mitzuerleben, wie ein warmer Körper kalt und leblos wird. War mein Glaube nur eine wohlklingende Theorie, oder würde er mich durch diesen Schicksalsschlag hindurchtragen?
Ich danke Gott, dass seine Verheißungen feststehen. Unser Gott ist real, er lebt! Sein Sohn schmeckte den Tod für uns, und deswegen kann er uns auch durch unsere dunklen Täler begleiten. Unser Glaube besteht nicht in schönen Worten, sondern in einer lebendige Beziehung mit einem Gott, der für uns sorgt und unseren Schmerz mitfühlt. Dieser Gott hat durch seinen auferstandenen Sohn die Ketten des Todes gesprengt, um uns eine Hoffnung über das Grab hinaus zu geben.
Betrübt, aber nicht ohne Hoffnung
Das heißt nicht, dass wir den schrecklichen Stachel des Todes nicht fühlen, den grausamen Schmerz der Trennung, die heißen Tränen, die Zeiten, wenn Trauer uns wie eine Meereswoge überrollt, selbst nach Monaten der inneren Heilung noch. Es bedeutet vielmehr, dass wir trotz unseres Kummers „nicht betrübt sind wie die Übrigen, die keine Hoffnung haben.“ (1Thess 4,13 ELB)
In ihrem Buch Mourning Song (Klagelied) erzählt Joyce Lansdorf, wie sie ein Begräbnis besuchte, zu dessen Gottesdienst die Angehörigen betrunken erschienen. Sie war aufgebracht darüber, bis ihr klar wurde, dass sie keine Hoffnung hatten, nichts, woran sie sich festhalten konnten. Sie hatten zum Alkohol gegriffen, um ihren Schmerz zu betäuben.
Wie anders ist es, wenn wir an Jesus glauben! Erleben wir trotzdem Leid? Ja. Einsamkeit und Tränen? Ja. Trauer über den Verlust unseres Liebsten und Kostbarsten? Ja. Aber Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit? Nein!
Ausruhen vom Leiden
Es ist ein tröstlicher Gedanke, dass Taganbricht. unsere Lieben nicht länger Kummer und Schmerzen durchmachen müssen, die zum Leben auf dieser Welt gehören. Ihr körperliches Leiden hat ein Ende. Im letzten Stadium seines Kampfes gegen die Parkinson-Krankheit musste mein Mann die unterschiedlichsten Beschwerden ertragen. Er konnte nichts mehr eigenständig tun; selbst essen und trinken ging nur auf künstlichem Wege. Sein Leben war ganz in der Hand anderer. Die Würde und Unabhängigkeit, die ihm so wertvoll gewesen waren, hatte er verloren. Ich bin froh, dass er jetzt ruhen darf.
Vor Kurzem sprach ich mit einer Freundin darüber, wie schlimm es für mich war, die persönlichen Gegenstände meines Mannes durchzugehen und zu sortieren – seine Bücher, Unterlagen und was ihm an irdischen Dingen ans Herz gewachsen war. Sie meinte ganz arglos, er würde bestimmt vom Himmel zugucken und sich darüber amüsieren, wie schwer mir das Aussortieren fiel. Ohne zu zögern, entgegnete ich, ich sei dankbar, dass er nach meinem Bibelverständnis schlief und nichts davon mitbekam, dass ich einige seiner liebsten Schätze entsorgte, die er im Lauf vieler Jahre angesammelt hatte.
Ja, es ist tröstlich zu wissen, dass unsere Lieben schlafen. In seinem Buch A Grief Observed stellt C. S. Lewis – in der Annahme, dass die in Christus Gestorbenen nun im Himmel weiterleben – eine wichtige Frage: Warum sollte die Trennung eines Liebespaares für den Verstorbenen weniger schmerzlich sein als für den Hinterbliebenen?
Unser Vater nimmt seine geliebten Kinder nicht direkt nach ihrem Tod in den Himmel, sonst würden sie nicht die Freuden der Ewigkeit erleben, sondern sowohl unter der Trennung von ihren Lieben auf der Erde leiden als auch unter der Qual, Zeugen ihres Kummers, ihrer Nöte, Krankheiten und Schmerzen zu sein. Nein, Gottes Weg ist der beste! Er lässt zu, dass seine Lieben im Grabe ruhen, bis ein besserer Tag anbricht.
Es gibt ein Wiedersehen!
Ich werde gestärkt von der Hoffnung, meinen Ehegatten einmal wiederzusehen. Oft stehe ich mit Tränen in den Augen an seinem Grab, aber vor meinem inneren Auge steht das Bild, wie es wohl sein wird, wenn ich ihn in der Gesundheit und Kraft eines jungen Mannes wiedersehen werde. Kein Wunder, dass der Apostel Paulus seine Darlegung über den Auferstehungs- morgen mit der Motivation schließt:
1Thess 4,18 So tröstet nun einander mit diesen Worten!
Trost! Das ist der Unterschied zwischen den Hoffenden und den Verzweifelnden. Unser Trost ist die Gewissheit, dass unse- re Angehörigen in Frieden ruhen. Unser Trost ist, dass ihre Leiden und Schmerzen vorbei sind. Unser Trost ist die Verheißung, dass sie in ihrem nächsten bewussten Moment in das Angesicht ihres Erlösers blicken.
Gottes Zusicherungen sind der Grund, warum wir und unsere Angehörigen die Wirklichkeit des Todes ohne Angst und Schrecken akzeptieren können. Wir dürfen unsere Empfindungen über den Tod offen und ehrlich aussprechen.
Schwierige Entscheidungen
Kenneth und ich hatten uns über die Jahre offen über diese Themen ausgetauscht. Als seine Erkrankung fortschritt, verfasste er eine schriftliche Patientenverfügung darüber, welche lebenserhaltenden Maßnahmen bei ihm getroffen werden sollten. In den letzten Wochen seines Leidens standen wir trotzdem noch vor schwierigen Entscheidungen. Ich sprach mit meinem Mann darüber, wie ernst sein Zustand war und dass er nur durch die Magensonde am Leben erhalten wurde. Die Technik könnte ihn lange Zeit auf der Schwelle zwischen Leben und Tod halten, aber wäre das auch richtig und fair ihm gegenüber? Durfte ich um meiner eigenen Gefühle willen sein Leiden und den Sterbeprozess verlängern?
So schwer es mir fiel, fragte ich meinen Mann, ob er die künstliche Ernährung unbegrenzt beibehalten wolle. Obwohl er nicht mehr sprechen konnte, verneinte er mit einem energischen Kopfschütteln. Ich redete mit ihm über den Tod, den Segen, nach seinem ganzen Leiden friedlich einschlafen zu dürfen, und unsere Hoffnung, uns bei Jesu Kommen wiederzusehen. Er konnte nicht verbal antworten, aber sein Nicken und seine Augen redeten Bände über seine Hoffnung und Zuversicht.
Eines Tages, nachdem die Magensonde entfernt worden war, fragte mich eine Krankenschwester, ob ich ihm meine Erlaubnis gegeben hätte zu sterben. Die Frage erschreckte mich. Als Seelsorgerin wusste ich eigentlich, dass so etwas hilfreich und sogar wichtig sein konnte, aber nun musste ich selbst daran erinnert werden. Und so sagte ich ihm, dass er ruhig sterben dürfe. Ich versicherte ihm, es sei ganz in Ordnung, wenn er nun einschlafen und von seinem Leiden ruhen würde, und dass ich zurechtkommen würde, weil der Herr für mich sorgte.
Der Tod: Freund oder Feind?
Meine Erfahrung hat mich viel persönlicher als bisher vor die immer wiederkehrende Frage gestellt: Ist der Tod (ich meine den ersten Tod, nicht den zweiten) immer ein Feind, oder kann er manchmal auch ein Freund sein?
In der Heiligen Schrift ist der Tod vor allem ein Feind. Besonders in den Psal- men finden wir viele Gebete um Befreiung aus dem Tod. Und die neutestamentlichen Schreiber betonen die Auferstehung Christi als Garantie, dass die Macht des Todes über die Menschheit gebrochen ist (1Kor 15,51-57; 1Thess 4,13-18; Off 20,13.14).
Doch die Bibel malt auch ein anderes, vielleicht nicht so auffälliges Bild vom Tod, das wir nicht übersehen sollten. Der weise Salomo erklärt, dass es für alles eine Zeit gibt:
Pred 3,2 Zeit fürs Gebären und Zeit fürs Sterben, Zeit fürs Pflanzen und Zeit fürs Ausreißen des Gepflanzten, 3 Zeit fürs Töten und Zeit fürs Heilen, Zeit fürs Abbrechen und Zeit fürs Bauen …
In seinem berühmten Hirtenpsalm sagt David, dass er „kein Unglück fürchtet“, selbst wenn er „durchs Tal des Todesschattens wandert“(Ps 23,4 SCH). In Psalm 55 beschreibt der Psalmist zuerst seine furchtbare Auseinandersetzung mit den Schrecken des Todes und betet dann um Erlösung, aber nicht vom Tod, sondern durch den Tod:
Ps 55,7 Hätte ich doch Flügel wie die Taube, ich wollte hinfliegen und ruhen.
Der Segen des Sterbens
Im Alten wie im Neuen Testament räumen die Schreiber ein, dass der Tod für einen Menschen, der Gott vertraut, tatsächlich ein Segen sein kann.
Ps 116,15 Kostbar ist in den Augen des HERRN der Tod seiner Frommen.
Nachdem er die Schwierigkeiten der Endzeit geschildert hat, hört Johannes in der Offenbarung eine Stimme vom Himmel einen Segen aussprechen:
Off 14,13 Glückselig sind die Toten, die im Herrn sterben, von nun an! Ja, spricht der Geist, sie sollen ruhen von ihren Mühen; ihre Werke aber folgen ihnen nach.
Derselbe Paulus, der den Tod als Feind bezeichnet, bekennt, dass ihn „danach verlangt, aufzubrechen und bei Christus zu sein“ (Phil 1,23), er aber bereit ist, auf dieser Welt zu bleiben, weil seine Dienste noch gebraucht werden. Er sagt:
Phil 1,21 Für mich ist Christus das Leben, und das Sterben ein Gewinn.
Paulus war klar, dass die Toten schliefen (1Kor 15,51), doch er wusste auch, dass dieser Schlaf subjektiv nur einen Augenblick andauern würde, bevor er seinen Herrn sah. Warum also sollte der Tod ihm Angst und Schrecken einjagen, wenn er nur ein kurzer Moment war und dann das ewige Leben im Reich Gottes anbrach? Als die Zeit seines Todes kam, konnte dieser große Krieger voller Zuversicht sagen:
2Tim 4,6 Denn ich werde schon geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe.
7 Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt.
8 Von nun an liegt für mich die Krone der Gerechtigkeit bereit, die mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag zuerkennen wird, nicht aber mir allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung liebgewonnen haben.
Johannes bringt denselben Gedanken zum Ausdruck, wenn er Jesu Worte an die Gemeinde Smyrna wiedergibt:
Off 2,10 Fürchte nichts von dem, was du erleiden wirst! … Sei getreu bis in den Tod, so werde ich dir die Krone des Lebens geben!
Sicher ist der Tod ein Feind, doch weil unser Heiland die Fesseln des Todes zerrissen hat, brauchen wir den Tod nicht mehr zu fürchten. Wir können ihn zuweilen sogar als willkommene Erlösung von dem Weh und Ach dieses Lebens betrachten. Wir können das Grab einfach als Schlaf sehen statt mit hoffnungsloser Verzweiflung, als wäre damit alles aus. Wir brauchen nicht unsicher im Nebel des Mystizismus zu stochern, um herauszufinden, was einen Menschen hinter der Pforte des Todes erwartet.
Christus hat den Tod besiegt
Die Gewissheit unserer Hoffnung in Christus befähigt uns, dem Tod zuversichtlich gegenüberzutreten. Wir können unseren Lieben gestatten, sich in Jesus zur Ruhe zu legen. Wir erhalten Mut für schwere Entscheidungen, die uns wehtun, die aber zum Besten eines leidenden, sterbenden Angehörigen sind. Und schließlich werden wir in unserem Schmerz getragen und gehalten.
LJ 789f. Der Tod ist dem Gläubigen keine sehr wichtige Angelegenheit. Jesus spricht von ihm, als sei er von geringer Bedeutung. … Für die Nachfolger Christi ist der Tod nur ein Schlaf, ein Augenblick der Stille und der Dunkelheit. … Dieselbe göttliche Kraft, die Jesus aus dem Grabe rief, wird auch seine Gemeinde erwecken und sie mit ihm verherrlichen …
1Kor 15,51 Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden,
52 plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune; denn die Posaune wird erschallen, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden.
53 Denn dieses Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen, und dieses Sterbliche muss Unsterblichkeit anziehen.
54 … dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: „Der Tod ist verschlungen in Sieg!
55 Tod, wo ist dein Stachel? Totenreich, wo ist dein Sieg?“
Off 21,4 Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, weder Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
1Thess 4,18 So tröstet nun einander mit diesen Worten!
Rosalie Hafner Lee, „In Trauer getröstet“, Standpunkte (Ausg. 23, 2014), S. 58-61