Korrigierende Seelsorge - Strafaktion oder Hilfestellung?
Korrigierende Seelsorge ist oft ein unliebsames Thema. Im westlichen Kulturkreis, wo die Menschen alles daran setzen vor anderen gut dazustehen, wird es gemieden wie die Pest. Für die weltlichen Kritiker stellt dieses Thema natürlich ein gefundenes Fressen dar; sie propagieren eine Art von Mitleid, bei der Gut und Böse nicht selten in einen Topf geworfen werden. Die Leute verlangen nach einer Religion, die nach eigenem moralischem Gutdünken gestaltet werden kann. Sie sollte möglichst „benutzerfreundlich“ sein. „Halleluja, wir akzeptieren jeden wie er ist“, so lautet der Slogan. „Lass die Leute parken und es sich gemütlich machen, gib ihnen eine ordentliche Seelenmassage, und du hast sie am Haken und kannst sie ohne weiteres in die gewünschte Richtung lenken.“ Korrigierende Seelsorge wäre da nur ein Störfaktor. Es könnte mangelndes Mitleid unterstellt werden und das würde sich als Schrumpfungsmittel und Zehntenkiller erweisen.
Eine Gemeindeleitung, deren Denken sich in erster Linie um ihr Ego und das Streben nach Geld, Macht und hohen Gliederzahlen dreht, sollte das Thema also am Besten übergehen.
Aber für diejenigen Leiter, denen ihr HERR und die Gemeinde am Herzen liegen, stellt die Korrigierende Seelsorge einen Eckpfeiler für das geistliche Wohlergehen dar. Weise eingesetzt wird sie - wie einst der Stab des Moses - die Heiligen führen, die vom Wege Abgekommenen bergen und einen Schutzwall echter Frömmigkeit in einer vom Bösen gezeichneten Welt errichten.
Der Feind der Seelen hasst diesen „Stab“. Er versucht die Heiligen davon zu überzeugen, dass die Leute für ihre Sünden bestraft werden müssen. Wir kennen dieses Konzept unter dem Stichwort „richtende Seelsorge“.
Nun, gegen Rechtsprechung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Schließlich glauben wir alle an einen gerechten Gott. Kaum einer möchte wohl in einer Stadt ohne Gerichtsbarkeit wohnen. Leben vor der Zerstörung zu bewahren, ist ein Ausdruck von Fürsorge. Gerade weil unsere Gesellschaft das Leben und die Zivilisation zu schätzen weiß, versucht sie die in Schach zu halten, die diese Werte bedrohen. Gottes Absicht ist es jedoch nicht, den Übeltäter zu beseitigen; vielmehr bietet er ihm seine Gnade an. Seinen Nachfolgern gibt er den Auftrag, Menschen vor dem kommenden Gericht zu warnen. Damit wir an jenem Tag nichts zu fürchten haben und gleichzeitig der Gerechtigkeit Gottes Genüge getan wird, hat er sich selbst in Christus dahingegeben. Das Verdammungsurteil, unter dem wir von Rechts wegen stehen, ist somit aufgehoben.
Einige Geschichten, die sich um die richtende Seelsorge ranken, klingen wie diese: Bruder B. wurde beim Rauchen erwischt. Sein Fall wurde der Gemeinde zur Untersuchung vorgelegt. Man ging davon aus, dass der Vorwurf der Wahrheit entsprach und schloss den Bruder kurzerhand aus. Wenn hier auch ein extremer bzw. übertriebener Fall dargestellt ist, so zeigt er doch eine bestimmte Haltung auf.
Als Reaktion auf diese „richtende Seelsorge“ haben viele Gemeinden eine „Vogel Strauß-Mentalität“ entwickelt. Getarnt als Mitleid, verbirgt sich dahinter in Wirklichkeit eine selbstsüchtige, vernachlässigende Geisteshaltung. Die Glieder solcher Gemeinden wollen sich auf keinen Fall als „Hüter ihres Bruders“ verstehen. „Seinen geistlichen Zustand muss jeder selbst verantworten“, so meinen sie und können das Verständnis von „Gemeinde als große Familie“ nicht teilen. So entsteht eine Atmosphäre, in der nur die geistlich Stärksten überleben können.
Einige Gemeinden sind tatsächlich der Selbsttäuschung erlegen und meinen, dass es aus Gottes Sicht akzeptabel sei, wenn z.B. zwei Menschen ohne das Privileg der Ehe zusammenleben. Wie kommt es zu dieser Auffassung? Oft wird davon ausgegangen, dass „die beiden über kurz oder lang sowieso vor dem Traualtar landen und alles ganz von selbst ins Lot kommt“. Die zerstörerischen Auswirkungen dieser Sünde namens Unzucht werden als „nicht so tragisch“ angesehen. Dahinter steckt folgende Überlegung: „Wer will schon als gesetzlich gelten? Wenn wir den Betroffenen ihr Verhalten vorhalten, verlassen sie die Gemeinde womöglich und dann hätten wir die Chance, ihnen zu helfen für immer verspielt.“
Ein derartiges „Kopf in den Sand – Stecken“ bleibt nicht ohne Folgen: Viele Glieder legen mittlerweile eine Haltung an den Tag, die sich von der ihrer weltlich gesinnten Mitmenschen kaum mehr unterscheidet. Apathie macht sich wie eine erstarrende Kälte in der Gemeinde breit. Die Konturen zwischen richtig und falsch verschwimmen zusehends. Das hat natürlich deutliche Auswirkungen: Von Unzähligen, die die Gemeindelisten zieren, ist nur noch eine Hand voll in den Kirchenbänken zu finden. Die Gemeinde ist eher bekannt für ihre Geselligkeiten und Basare als für ihre Rechtschaffenheit, Heiligkeit und edle Gesinnung. Man meint, über die Glaubensgrundsätze der Gemeinde verhandeln zu können. Prediger, die es verstehen die Emotionen ihrer Zuhörer zu stimulieren - nicht aber aufzurütteln und unbußfertiges Verhalten anzuprangern - häufen sich auf unseren Kanzeln. Die Gemeinde steht in der Gefahr, ihre Mission und Botschaft zu verlieren.
Korrigierende Seelsorge, wie sie uns in Matthäus 18 vor Augen gestellt wird, kennt nur ein Ziel: die Wiederherstellung des Verlorenen! Jesus wusste, dass die Einheit der Gemeinde im Kampf zwischen ihm und Satan starken Belastungen ausgesetzt sein würde. Daher gab er Richtlinien, wie man Verluste verhindern, Gestrauchelte aufrichten und sich – so bedauerlich es ist – von geistlich Toten trennen kann.
Als die Jünger nach einer Messlatte verlangten um den größten unter sich auszumachen, lag es auf der Hand, dass diese Gesinnung mit dem Königreich Jesu unvereinbar ist. Um ihr Denken in eine völlig andere Richtung zu lenken, stellte er ein Kind in ihre Mitte und lehrte sie. „Wie dieses Kind von seinen Eltern, so sollt ihr von eurem Vater im Himmel abhängig sein. Gefühle der Überlegenheit und der Wunsch, der Größte sein zu wollen, dürfen in eurem Leben keine Rolle mehr spielen. Ihr sollt demütig und bescheiden sein. Neid, Eifersucht und Habgier müssen weichen. Ein jeder schätze den anderen höher ein als sich selbst.“ (nach Mt.18,1-5)
Verluste vermeiden. Das erste Anliegen der Korrigierenden Seelsorge sollte sein, Verluste zu verhindern. Dieser Schritt wird sträflich vernachlässigt und nicht selten fällt er ganz unter den Tisch. Vorsorge beginnt dort, wo die Gemeindeglieder eine Gesinnung der Güte und Demut pflegen. Sie werden sich nicht gegenseitig verurteilen, sondern einander Lasten abnehmen (Gal.6,2). Unabhängig von Geld, Position oder sozialem Status wird jedem Wertschätzung zuteil, da er Christus angehört. Wo dieser Geist herrscht, werden unsere Versammlungen von der Anziehungskraft himmlischer Liebe geprägt sein.
Fehlt er, können die „Alteingesessenen“ einem „Neuling“ zum Stolperstein werden, indem sie ihn achtlos behandeln. Wenn in einer Familie ein Baby geboren wird, fühlen sich die älteren Geschwister oft bedroht. Dieses neue Wesen, so wittern sie instinktiv, scheint ihnen den Rang abzulaufen. Man denke nur an all die Zuwendung, die ihm zuteil wird! Ein Neuankömmling ist ein klares Indiz dafür, dass die Heranwachsenden nun neue Verantwortung übernehmen müssen. Nicht anders ist es in der Gemeindefamilie: Werden die „gestandenen“ Schwestern und Brüder nicht zu einem Herzen voller Liebe angehalten, so entpuppen sie sich nur zu oft als Ärgernis. Wenn ihre Beziehung zu Jesus ihren Charakter nicht grundlegend gewandelt hat, werden sie einen schlechten Einfluss auf die „Kleinen“ ausüben.
Alle Gemeinden sollten ihren neuen Geschwistern jede erdenkliche Fürsorge zukommen lassen. Diese größtmögliche Zuwendung ist nicht nur Aufgabe des Predigers sondern der ganzen Gemeinde.
Warnung. Jesus erteilte denen, die einem Anfänger im Glauben durch schlechtes Vorbild oder liebloses Verhalten zum Stein des Anstoßes werden, eine ernste Warnung: „Es wäre besser, mit einem Mühlstein um den Hals im Meer ersäuft zu werden, als am Tag des Gerichts vor das zornige Angesicht meines Vaters treten zu müssen … Jeder Einzelne ist wertvoll, da sein Engel allezeit das Angesicht des Vaters im Himmel sieht.“ (nach Mt.18,6-10)
Die Anweisung ist klar und deutlich. Seid euch bewusst, dass dem Vater jedes seiner Kinder kostbar ist. Hegt und pflegt die „Kleinen“ und geht mit Gottes Hilfe und gutem Beispiel voran. Nimmt eine Gemeinde sich diese Botschaft zu Herzen
Seid euch bewusst, dass dem Vater jedes seiner Kinder kostbar ist. Hegt und pflegt die „Kleinen“ und geht mit Gottes Hilfe und gutem Beispiel voran.
und handelt danach, so ist der erste Schritt zur Korrigierenden Seelsorge schon getan. Wie pflegte meine Mutter zu sagen? „Eine Priese Vorsorge ist mehr als die beste Kur.“
Genau an diesem Punkt versagen die meisten Gemeinden, wenn es um Korrigierende Seelsorge geht. Statt die praktischen Ratschläge mit Tatkraft umzusetzen, verzetteln sie sich mit den technischen Schwierigkeiten, die die Durchführung einer „Kur“ mit sich bringt. Die gesamte Gemeinde muss daher kontinuierlich geschult und in die Sorge für die neuen Gemeindeglieder einbezogen werden. Nur so kann verhindert werden, dass Korrigierende Seelsorge in Richtgeist oder „Vogel Strauß - Mentalität“ umschlägt.
Praktische Unterschiede. Um einen Vergleich zwischen den drei Seelsorgetypen zu ermöglichen, sind in der Tabelle auf der nächsten Seite ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet.
Das Gleichnis vom verlorenen Schaf aus Matthäus 18 zeigt eindringlich, dass es Jesus um Korrigierende Seelsorge ging. Das Schaf steht für ein Gemeindeglied, das vom Wege abgeirrt ist und sich nicht länger im sicheren Schoß der Gemeindefamilie befindet. Das Gleichnis endet mit der Aussage Jesu, dass der Vater nicht gewillt ist, auch nur eines seiner Kinder zu verlieren (Mt.18,12-14). Um dem vorzubeugen, zeigt Christus uns praktische Schritte auf, wie ein „verlorenes Schaf“ gerettet werden kann.
Der Schwerpunkt verlagert sich nun von der Vorsorge zur Rettung. Da sich das Schaf in ernsthaften Schwierigkeiten befindet, müssen die Anstrengungen zu seiner Bergung verdoppelt werden. Wenn vorbeugende Maßnahmen versagt haben, bleibt nur noch die Hoffnung auf Rettung. Sie wird von Jesus mit den folgenden Worten eingeleitet: „Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein.“ (Mt.18,15)
Richtend | „Vogel Strauß“ | Korrigierend |
---|---|---|
1. Legalistisches „Zu Gericht-Sitzen“ | Überleben des Stärksten | Wiederherstellung statt Bestrafung |
2. Schuld und Sünde werden ernst genommen | Schuld wird ignoriert | Schuld und Sünde werden ernst genommen |
3. Schuldgefühle als Teil der Strafe | Kein Schuldbewusstsein | Schuldbewusstsein wird durch Gnade geweckt |
4. Handlungsorientiert | Keine Maßnahmen | Handlungsorientiert |
5. Gemeinde erwartet Bestrafung des Schuldigen | Gemeinde bleibt innerlich unbeteiligt | Ziel der Gemeinde: Rückführung des „verlorenen Schafes“ |
6. Gemeinde fungiert als Richter | Gemeinde als „gesellschaftliches Ereignis“ | Gemeinde kümmert sich um ihre Wunden |
7. Ewige Konsequenzen | Ewige Konsequenzen | Ewige Konsequenzen |
8. Nicht heilsorientiert | Keinerlei positive Aspekte | Gottes Plan für seine Gemeinde |
Wie oft hat es sich in meiner Zeit als Prediger zugetragen, dass mir jemand die traurige Geschichte eines Fehltrittes zutrug. Darauf folgte stets die unausweichliche Frage: „Pastor, was gedenkst du nun zu tun?“ Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, mich mit Freundlichkeit zu wappnen und zu erwidern: „Die eigentliche Frage lautet, was du in diesem Falle zu tun gedenkst!“
Suchten die frühen Adventisten wegen Fehlverhaltens eine private Unterredung, so sprachen sie davon, dass man einer Schwester oder einem Bruder „Treue erweist“. Immer wieder kommt es vor, dass Prediger oder Älteste von Gemeindegliedern konsultiert werden, die sich Sorgen um Mitgeschwister machen. Die Gemeindeleitung sollte in der Lage sein Hilfestellung zu geben, wie man in angemessener Weise mit einem Betroffenen umgeht. Viele scheuen diesen Weg nämlich, weil sie sich einer solchen Situation nicht gewachsen fühlen.
Manchmal wird die „Methode“ Jesu aus Matthäus 18 so uminterpretiert, dass sie wie der Rat eines Anwalts klingt: „Mach den anderen nieder, dann stehst du selber umso besser da.“ Ohne Zweifel ist es unumgänglich, eine unbereinigte Situation zu klären. Und dennoch stellen die konkreten Schritte, die Jesus vorgibt, mit Sicherheit keine Anleitung dar, wie man die Bücher „reinigt“. Ohne Frage wünscht Gott sich reine Bücher - aber keine leeren Seiten. Wenn die Herzen rein sind, werden es auch die Bücher sein. In vielen Fällen muss der persönliche Gang zu einem Menschen, der vom Weg abgekommen ist, mehr als einmal erfolgen. Das gibt dem Betroffenen die Chance zu bereuen, ohne bloßgestellt zu werden. „Die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden.“ (nach Jakobus 5,19.20)
Intimsphäre wahren. Als Prediger vertraute sich mir eine Schwester an, deren Ehemann sich an seinem Arbeitsplatz mit einer Frau eingelassen hatte. Ich ging persönlich zu ihm, und er gestand unter Tränen. Seine Frau mit den Kindern verließ ihn beinahe, entschloss sich dann aber doch ihm zu vergeben und die Familie zusammenzuhalten. Da der Fall in der Öffentlichkeit nicht bekannt wurde und in seinem Verhalten echte Reue zu erkennen war, freuten wir uns in aller Stille und die Angelegenheit war somit beigelegt. Unser Ziel war erreicht – ein verlorenes Schaf war wieder zu Hause.
Machen wir uns persönlich auf den Weg, so können wir uns außerdem vergewissern, ob unser Verdacht wirklich berechtigt war. Vor einigen Jahren behauptete eine Schwester voller Überzeugung, den Prediger beim Rauchen gesehen zu haben. Statt die Sache persönlich mit ihm abzuklären, nahm sie Kontakt zu den Verantwortlichen der Gemeinde auf. Diese wiederum beriefen einen Ausschuss ein, um den Verdächtigten mit der Anschuldigung zu konfrontieren. Der Prediger zog daraufhin einen Wick-Inhalierer aus seiner Tasche und fragte die Schwester, ob es das gewesen sei, was sie gesehen habe. Peinlich berührt musste sie ihren Irrtum eingestehen.
Nächste Instanz. Wenn persönliche Annäherung nichts fruchtet, nimm jemanden mit dir (Mt. 18,16). Das ist die Phase, in der ein Ältester oder Prediger hinzugezogen werden sollte. Jesus ordnet hier eine Intensivierung der persönlichen Einflussnahme an, ein Schritt der oft unterschätzt wird. Die Macht der Liebe erhält Verstärkung: Zwei oder drei Menschen, die den Betroffenen wertschätzen, werden hinzugezogen. So besteht die Hoffnung, dass sie ihn von der Macht der Sünde wegziehen können.
Unsere Gemeindeleitung traf sich monatlich, nicht um sich Gedanken über die irdischen Belange sondern um das geistliche Wohl der Gemeinde zu machen. Wie Schafhirten wachten wir über unsere Herde. Hatten wir Wind davon bekommen, dass jemand in die Irre zu laufen drohte, verbrachten wir viel Zeit in ernstem Gebet und schmiedeten Pläne zu seiner Rettung. So entstand manch neue Idee. Beispielsweise baten wir um die Erlaubnis, einem Gemeindeglied auf Abwegen eine „Phase der Bewährung“ zu gewähren, bevor die Angelegenheit der Gemeinde vorgelegt werden sollte. Dadurch gewannen wir Zeit um in aller Ruhe mit dem Gemeindeglied zu arbeiten. Mit dieser „Strategie der Liebe“ gewappnet, durften wir erleben, wie Gott etliche hoffnungslos scheinende Fälle zum Guten wendete. Nicht alle Schlachten konnten gewonnen werden, aber wir versuchten alles nur Mögliche in diese Richtung. Die Früchte waren offensichtlich: Menschen wurden wieder in die Gemeinde integriert und in einigen Fällen ein zweites Mal getauft. Nun war es nicht mehr ohne weiteres möglich, die Gemeinde durch die „Hintertür“ zu verlassen. Manchmal fragt man sich, warum die Hintertür in der Regel eine Schwingtür ist. Die Antwort lautet, dass Prediger und Älteste es versäumt haben, sie durch inständige Fürbitte und harte Arbeit zu verschließen.
Harte Arbeit. Wie die folgende Erfahrung zeigt, verlangt die beschriebene Strategie großen Einsatz von der Gemeindeleitung. Einer Person, die falsche Schecks ausgestellt hatte, wurde eine Bewährungsfrist zugestanden. Das bedeutete, dass ihr der Prediger oder einer der Ältesten ein Jahr lang jeden Monat einen Besuch abstatten musste. Auch geistlicher Rat, Gebet, Beaufsichtigung der Rückzahlungen und Ermutigung für jeden Fortschritt waren Teil der Betreuung. Menschen, die wieder in die Gemeinde zurückgeführt werden sollen, brauchen intensive Betreuung.
Es ist unverzeihlich, dass dieses überaus wichtige geistliche Amt brach liegt, während unsere Ältesten mit einer Fülle von Aufgaben überfrachtet werden, die in der Bibel gar nicht vorgesehen sind. Arbeitskreise künden von Betriebsamkeit, verschiedenste Aktivitäten sind im Gange, und die Gemeinde scheint nach außen sehr erfolgreich zu sein. Und doch befinden sich inmitten all diesen Trubels verirrte Schafe; aber niemand nimmt sich die Zeit, sie wenigstens einmal durchzuzählen. Wir versuchten damals unseren Gemeindeleitern so gut es ging den Rücken freizuhalten. Was für einen großen Unterschied bewirkte das mit der Zeit in unserem Gemeindeleben! (Apg.6,1-6)
Brücken der Liebe. Eine letzte Chance besteht darin, die Gemeinde einzubeziehen. Wenn bis dahin alle Bemühungen fehlgeschlagen sind, bietet Jesus immer noch Brücken der Liebe an … Sind alle offiziellen Möglichkeiten ausgeschöpft, wird das vorliegende Problem in der Regel im Rahmen der üblichen Gemeindestunde präsentiert und zur Abstimmung vorgelegt. Die Schrift lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass ein solches Vorgehen nicht dem Willen Jesu entspricht. Nach dem Auftrag „so sage es der Gemeinde“ heißt es „hört er auch auf die Gemeinde nicht …“ (Mt.18,17). Es muss also einen Grund haben, weshalb das Anliegen der ganzen Gemeinde vorgelegt werden soll: Jeder hat nun die Möglichkeit, sich um das „verirrte Schaf“ zu bemühen, ihm seine Zuneigung zu zeigen und es zur Reue zu ermutigen. Wird diese Chance unter Fürbitte wahrgenommen, kann durch dieses Werben ein enormer Einfluss zum Guten entstehen. Ich glaube nicht, dass es dem Geist Jesu entspricht, wenn nur eine repräsentative Stimme aus der Gemeinde bei
Es muss also einen Grund haben, weshalb das Anliegen der ganzen Gemeinde vorgelegt werden soll: Jeder hat nun die Möglichkeit, sich um das „verirrte Schaf“ zu bemühen.
dem Betroffenen vorspricht. Vielmehr sollte die gesamte Gemeinde oder wenigsten ein großer Teil bei diesem Vorhaben in die Pflicht genommen werden.
Erst wenn der Umworbene die Bitte der Gemeindefamilie abschlägt, sollte er ausgeschlossen werden (V.17). Damit ist nicht gemeint, die Person künftig zu meiden, wie es in manchen Denominationen praktiziert wird. Tatsache ist aber, dass nun eine veränderte Beziehung zur Gemeinde vorliegt. Der Ausgeschlossene wird ab diesem Zeitpunkt als „Sünder“ betrachtet, den es zurückzugewinnen gilt. Das bedeutet, dass er nicht dieselben intimen Privilegien wie zuvor genießt. Paulus hielt die Korinther an, eine deutliche Trennung zu vollziehen. Dadurch wird dem Betroffenen unter Umständen bewusst, wie unglücklich er unter dem Einfluss des Gegenspielers ist und wie sehr er die Geborgenheit in der Gemeinde vermisst. Genau das durften wir mehrfach beobachten. Sollten wir nicht alles daran setzten, eine herzliche Gemeinschaft in Christus aufzubauen? Verlässt uns jemand, so sollte ihn nach einiger Zeit eine solche Sehnsucht überkommen, dass er es in der Welt nicht länger aushält. Die Erfahrung zeigt, dass es schon manches Mal so gekommen ist.
Die höchste Form der Gemeinschaft stellt das Abendmahl dar. Mit Sorgfalt durchgeführt und regelmäßig gefeiert, kann es sich zum bestbesuchten Gottesdienst entwickeln. Wenn eine Person ausgeschlossen wurde, ist sie weiterhin in der Gemeinde willkommen. Die Teilnahme am Abendmahl sollte jedoch erst nach Neuaufnahme durch Wiedertaufe erfolgen.
Kommt es mit einem Gemeindeglied so weit, dass es sich weigert auf die Appelle zur Umkehr zu hören, dann sieht sich die Gemeinde zum Ausschluss gezwungen. Eine zögerliche Haltung wenn es darum geht, sich von geistlich „Toten“ zu trennen, bedroht das Wohlergehen der gesamten Gemeinde. Das Hinausschieben dieses letzten Schrittes signalisiert uns selbst und der Welt, dass wir eigentlich nicht hinter dem stehen, was wir sagen. Den Irrenden gegenüber entsteht der Eindruck, dass wir uns nicht wirklich um sie kümmern. Uneinigkeit, Spaltung, Apathie und Bosheit werden in unseren Reihen überhand nehmen.
Verletzung anderer. Es sollte auch bedacht werden, dass das „verlorene Schaf“ nicht das einzig Leittragende ist. Der ganze Körper wird in Mitleidenschaft gezogen, wenn ein Glied leidet. Auch das Umfeld der Gemeinde ist betroffen, wenn ein Mensch, der sich als Christ bezeichnet, seinen Herrn durch sein Handeln verleugnet. Mancherorts wird die Verbreitung des Evangeliums ernsthaft behindert, weil die Kirche versäumt, ihre eigenen Wunden zu versorgen. Manchmal kommt es vor, dass ein Sünder zwar Reue zeigt, sein Verhalten jedoch so tiefe Wunden gerissen bzw. ein solches Durcheinander gestiftet hat, dass die Gemeinde die disziplinarischen Maßnahmen noch für eine angemessene Zeit aufrechterhalten muss. Der Sinn dieser Handhabe ist, dem „Körper“ und der Öffentlichkeit ausreichend Zeit zur Heilung zuzugestehen. Ist die Reue echt, so unternimmt das fehlgeleitete Gemeindeglied sicher alles nur Mögliche, um die Angelegenheit wieder ins Reine zu bringen. Es sollte darauf bedacht sein, dass Christus vor den Augen der Welt nicht in ein schlechtes Licht gerückt wird; stattdessen wird es die Aufmerksamkeit auf die göttliche Autorität zu tadeln und wieder aufzurichten lenken. Ist ein entsprechendes Verhalten zu beobachten, so sollte es bei einer Ermahnung oder Bewährungsfrist belassen und auf Ausschluss verzichtet werden.
Wiederholungstat? Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein Paar bis an die Grenzen gesündigt hatte. Inzwischen waren sie aber voller Reue und befanden sich auf dem Weg der Wiedergutmachung. Dennoch stellte sich uns folgende Frage: „Was nun, wenn sie wieder in Sünde fallen?“ Als wir uns daraufhin noch einmal in Matthäus 18 vertieften, wurde uns klar, dass Petrus die gleichen Bedenken hatte, nachdem er Jesu Anweisungen zum Umgang mit „Verlorenen“ gehört hatte. Jesus lässt uns nur eine Wahl: So lange Reue vorliegt, sollen wir vergeben. Viele teilen heute die Sicht des Petrus. Siebenmal vergeben ist das Äußerste - sonst wird das Ganze zur Farce. Aber Jesus, der die Schwachheit der menschlichen Natur kennt, lehrte etwas anderes: Für unsere Vergebungsbereitschaft und unser Einverständnis, eine reuige Seele wieder aufzunehmen, darf es keine Grenze geben (Mt. 18,21.22). Die Leitung beschloss in unserem Fall, dass sie sich wieder für eine liebevolle Korrektur stark machen würden, sollte das Paar erneut in Sünde fallen.
Reue. Das Thema Reue sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Es gibt viele unselige Geschichten von Paaren, die unschriftgemäß Scheidung und Wiederheirat hinter sich brachten und es mit der Reue nicht allzu genau nahmen. Oft baten sie darum ihre Namen von der Gemeindeliste zu streichen, um dann in einer Nachbargemeinde oder bei einer Evangelisation aufzukreuzen und um Wiedertaufe zu bitten. Einige Prediger lassen in solchen Fällen ihre beruflichen Verpflichtungen außer Acht und unternehmen wenig oder gar nichts, um mit dem früheren Prediger abzuklären, ob eine Wiedertaufe angebracht ist. Große Schande, Verwirrung und Schwächung der Gemeindeautorität sind aus diesem bedauerlichen Verhalten schon erwachsen. Niemand wird in der Lage sein, derartige Leute zur Reue zu bewegen. Sie gleichen toten Zweigen, die einem lebendigen Baum aufgepfropft sind.
Die drei Grundvoraussetzungen für eine Wiederaufnahme lauten Reue, Reue und nochmals Reue. Kummer über Sünde bedeutet mehr als nur zu sagen, „Es tut mir Leid, ein solches Chaos verursacht zu haben.“ Vielmehr sollte folgender Gedanke vorherrschen: „Wenn ich noch einmal zu entscheiden hätte, würde ich nicht mehr so handeln.“ Wir sollten immer vor Augen haben, dass der Kummer über das menschliche Verhalten Jesus das Herz gebrochen hat.
Ein ehemaliges Gemeindeglied, das wieder aufgenommen werden möchte, sollte vorher folgenden Prozess durchlaufen:
- Die Absicht kundtun, dass das Fehlverhalten in Zukunft unter allen Umständen vermieden wird;
- Einwilligung, sich bei den geschädigten Parteien zu entschuldigen und die Dinge soweit möglich wieder in Ordnung bringen;
- Der Gemeindefamilie oder ihren Repräsentanten in aller Demut das Vorgefallene zur Einschätzung unterbreiten;
- War die Sünde öffentlicher Natur: Reue dafür zeigen, dass die Allgemeinheit damit belastet wurde. Dabei jedoch Weisheit und gesunden Menschenverstand walten lassen. (siehe Zeugnisse für die Gemeinde, Bd. 5, S. 642-650). Wiedertaufe ist manchmal der beste Weg um einen Neuanfang zu signalisieren.
Die genannten Schritte bedeuten Heilung für den Sünder, die Betroffenen und die Gemeinde als Ganzes. Es gibt aber auch Fälle, wo sich die Gemeinde umgehend zum Handeln gezwungen sieht. Ich erinnere mich noch lebhaft an jenen selbstständigen Geschäftsmann. Er und seine Frau waren ohne erkennbare Zeichen der Reue wieder aufgenommen worden. Eines Tages saß er nach dem gemeinsamen Potluck mit einer Gruppe von Geschwistern zusammen. Er prahlte damit, dass das Verlassen der früheren Ehepartner und die folgende ehebrecherische Beziehung das Beste gewesen sei, was seine Frau und er je getan hätten. Noch heute schaudert es mich, wenn ich an diesen Vorfall zurückdenke. Ich zweifle nicht an der Vergebungsbereitschaft unseres Vaters im Himmel. Aber was mir im Bezug auf die Sünde Respekt einjagt, ist die Tatsache, dass sie das menschliche Herz des Wunsches nach Vergebung beraubt.
Liebe nach menschlichem Maßstab darf uns nicht davon abhalten, „dem Bruder Treue zu erweisen“. Christus darf nicht erneut auf dem Altar unseres Egos geopfert werden. Wir sind Hüter unseres Bruders. Abel zahlte einen hohen Preis für sein treues Opfer. Echte Korrigierende Seelsorge wird auch uns Schmerzen verursachen. Besonders dann, wenn der „Körper“ der Gemeinde lange vernachlässigt worden ist.
Nicht lange nachdem ich in einer Gemeinde meinen Dienst angetreten hatte, wurde mir über einen Mann berichtet, der geschieden und in einen anderen Bundesstaat gezogen war. Dort lebte er mit einer anderen Frau, offensichtlich ohne verheiratet zu sein. Immer noch stand er auf der Gemeindeliste, obwohl die Situation schon ein Jahr andauerte. Als ich mich an den Sohn wandte (ein treues Gemeindeglied) um die Telefonnummer seines Vaters herauszufinden, wurde er zornig, dass ich es auch nur wagte, seinen Vater zu kontaktieren. Der Sohn hatte Angst, dass die Gefühle seines Vaters verletzt werden könnten und er nie wieder zurückfinden würde. Ich hielt dagegen, dass ein Name auf der Gemeindeliste einen Menschen am Tage des Gerichtes nicht von der Tatsache entbinden würde, dass er vorsätzlich und permanent gegen Gottes Gebote verstoßen hatte. Weiter erläuterte ich, dass sich sein Vater in einem verlorenen Zustand befände und der Hilfe bedürfe. Am Ende verloren wir diesen Kampf. Trotz unserer liebevollen Appelle weigerte sich der Vater zu bereuen und die nötigen Veränderungen einzuleiten. Aber vielleicht wird es ihm eines Tages wie Manasse ergehen, dessen Herz durch die Umstände erweicht wurde; dann wird er die Rufe des Heiligen Geistes zur Umkehr befolgen. An diesem Punkt könnte sich unsere beharrliche Liebe auszahlen, die sich weigerte, ihn mit seiner Sünde durchkommen zu lassen. Vielleicht kann unsere feste Haltung eines Tages dazu beitragen, dass er wieder willig wird, das Kreuz Christi auf sich zu nehmen.
Wir sollten uns erneut bewusst machen, wie unendlich wertvoll eine Seele ist. Lasst uns als Prediger und Gemeindeglieder diese Liebe, wie sie uns in Matthäus 18 vor Augen gehalten ist, immer mehr verinnerlichen. Wir müssen uns um effektive Vorsorge bemühen und unermüdlich in unseren Liebesappellen sein. Gleichzeitig sollten wir, wenn alle Appelle fehlschlagen, kompromisslos in der Disziplinierung sein, auf echte Reue bestehen und von ganzem Herzen vergebungsbereit sein. Warum? Weil der große Gerichtstag vor der Tür steht.