Nordkönig, Südkönig, Religionsfreiheit und das Heiligtum
Entnommen aus „STAndpunte, Ausgabe 8, 2/2006“
Was ist gefährlicher für die Religionsfreiheit: Eine politische Linke, die moralische Absoluta ablehnt, Abtreibung fördert, die Ehe eigenmächtig neu definiert und Religion aus der Öffentlichkeit verbannt, oder eine religiöse Rechte, die der Gesellschaft im Namen von Anstand und Moral eine straffe Glaubensagenda aufzwingt, religiöse Schulen und Kirchen staatlich subventioniert und den Obersten Gerichtshof politisch kontrolliert, sodass nur Kandidaten, die einer strikten religiösen Gewissensprüfung standhalten, akzeptiert werden?
Wie sollen Adventisten sich einer Gesellschaft verständlich machen, die mitten in zwei zunehmend stärker verfeindete Lager gespalten ist? Die Antwort darauf verbirgt sich in der uralten Frage, wer die Könige des Nordens und Südens in Daniel 11 sind, wenn man noch die adventistische Botschaft über Religionsfreiheit im Lichte des himmlischen Heiligtums dazugesellt.
Nordkönig, Südkönig und Gottes Volk
Wir neigen dazu, jeden Konflikt als zwei Pole zu sehen: Kommunismus gegen Kapitalismus, Republikaner gegen Demokraten, rote Länder gegen blaue, die Guten gegen die Bösen. Aber der letzte Konflikt, der in Daniel 11 und 12 geschildert ist, handelt von drei Mächten: dem König des Nordens, dem König des Südens und dem durch Gottes Volk repräsentierten König des Himmels.
Zuerst wollen wir in Daniel 12 ein Wesensmerkmal von Gottes Volk herausarbeiten, das es von allen weltlichen Mächten abgrenzt. Danach werden wir untersuchen, wer der Nord- und Südkönig sind. Am Ende werden wir sehen, wie wir im Licht der Heiligtumslehre unsere Stellung zur Religionsfreiheit so präsentieren können, dass sie gerade in der heutigen Debatte über absolute und relative Werte zwischen Rechts und Links Sinn macht.
Die Weisen werden leuchten
Manchmal kann man jemanden kennen lernen, indem man seine Feinde studiert. So ist es beim Nord- und Südkönig. Ihr gemeinsamer Feind ist der Himmelskönig, vertreten durch seine Nachfolger auf Erden. In Daniel 12 wird uns der besondere Charakter dieser Nachfolger geschildert: „Und die Verständigen [King-James: Weisen] werden leuchten wie der Glanz der Himmelsausdehnung, und die, welche die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ (Daniel 12,3) Ungewöhnlich, dass hier die Weisheit betont wird. Die Bibel beschreibt Gottes Endzeitvolk an vielen Stellen, beispielsweise seine Liebe und geduldiges Ausharren. Aber Daniel macht klar, dass für die Rettung von Menschen in den letzten Tagen Weisheit eine besondere Rolle spielt.
Natürlich ist das nicht bloß menschliche Weisheit oder Kopfwissen. In den Sprüchen steht, dass echte Weisheit mit der Furcht des Herrn beginnt. Jakobus beschreibt sie so: „Die Weisheit von oben aber ist erstens rein, sodann friedfertig“ (Jakobus 3,17).
Wer die Systeme irdischer Weisheit kennen gelernt hat, weiß, wie ungewöhnlich so eine Verbindung von Reinheit und Frieden ist. Die irdische Weisheit behauptet nämlich, wer glaubt, es gebe die reine Lehre oder den reinen Glauben, also absolute Wahrheit, sei ein Fundamentalist, unfähig zu friedfertigem Zusammenleben und nur darauf aus, anderen sein System mit Druck und Aggression aufzuzwingen. Friede könne nur dann herrschen, so die weitere Argumentation, wenn man allen Absolutheitsansprüchen abschwöre und Wahrheit als relativ und subjektiv akzeptiere. Nur auf der Grundlage „Ich bin okay, du bist okay, alle sind okay“ könne Frieden entstehen.
Die irdische Weisheit hält „Reinheit“ im Glauben und „Friedfertigkeit“ im Wesen für unvereinbare Gegensätze. Aber die himmlische Weisheit verbindet Wahrheit und Charakter. Das ist ein auffälliger Kontrast zu den konkurrierenden Entwürfen irdischer Weisheit in der Endzeit, wie sie von den Königen des Nordens und Südens in Daniel 11 verkörpert werden.
Diese zwei irdischen Könige stellen zwei Alternativen zu der Weisheit dar, die „erstens rein, sodann friedfertig“ (Jakobus 3,17) ist. Der eine will die Reinheit der Rechtgläubigkeit repräsentieren, ist aber alles andere als friedfertig. Der andere hält den reinen Glauben für eine Illusion, sieht sich selbst aber als ultimativen Friedensstifter. Tatsächlich sind die beiden weder rein noch friedfertig. Aber wer sind sie eigentlich?
Nord und Süd waren im Alten Testament die Richtungen, aus denen Israels Feinde kamen: Babylon und Rom aus dem Norden, Ägypten aus dem Süden. Aber im Zeitalter des Neuen Testaments werden die alten physischen Feinde Israels zu Symbolen für die geistlichen Feinde des wahren Volkes Gottes.
Der König des Nordens
Innerhalb der Adventgemeinde gab es zumindest in den letzten Jahren kaum Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Identität des Nordkönigs. Nach Babylon ist das Römische Reich der neue Feind aus dem Norden. Aus dem Römischen Reich wird die Römische Kirche des Mittelalters, die sich das Recht herausnimmt, Glaubenslehren mit Gewalt durchzusetzen.
Die Beschreibung des Nordkönigs in Daniel 11 erinnert stark an das kleine Horn aus den vorigen Kapiteln. Beide Mächte entweihen das Heiligtum, nehmen das Tägliche weg, stellen das Gräuelbild der Verwüstung auf und verfolgen die Heiligen (siehe Daniel 7,24f; 8,10-12; 9,27 im Vergleich mit Daniel 11,31-36).
Die Parallelen zwischen Daniels Visionen sind ein deutlicher Hinweis, dass der König des Nordens zumindest später in Daniel 11 die moralisch absolute, intolerante, verfolgende Kirche im Mittelalter widerspiegelt. Ihre Ansicht über absolute Moral paart sich mit einer Haltung geistlicher Intoleranz, die Religionsfreiheit und Bürgerrechte mit Füßen tritt.
Diese Weisheit leugnet nicht die Existenz Gottes oder absoluter Wahrheit. Im Gegenteil, sie rechtfertigt mit ihrem angeblichen Wahrheitsmonopol sogar Verfolgung. Sie behauptet, ihre Weisheit sei „rein“ (um auf Jakobus zurückzukommen), ist aber gleichzeitig voller Kämpfe und Konflikte und greift auch in geistlichen Angelegenheiten nach staatlicher Gewalt. Begegnet uns nicht derselbe Geist im zunehmenden Einfluss der katholischen Kirche in der amerikanischen Politik? Ist es nicht auch der Geist der protestantisch-christlichen Rechten mit ihrer wachsenden politischen Einflussnahme auf Wahlkämpfe, Nominierungen für das Oberste Gericht und staatliche Beihilfe für kirchliche Programme?
Der König des Südens
Wer ist nun der König des Südens? Bei dieser Macht ist man sich unsicherer. Manche dachten, es sei die Türkei oder allgemein der Islam. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse um den wieder aufgelebten ideologischen Konflikt zwischen dem Westen und der muslimischen Welt ist dies eine interessante Hypothese. Sowohl die Bibel als auch der Geist der Weissagung enthalten allerdings zahlreiche Hinweise für eine Verbindung des Südkönigs mit Atheismus, Französischer Revolution, Kommunismus und Säkularismus.
Der buchstäbliche König des Südens ist in der Bibel Ägypten. Der erste Teil von Daniel 11 passt gut auf diese Macht und die späteren Ptolemäer-Dynastien. Aber ab Vers 22 (möglicherweise ein Hinweis auf den Tod Christi) betreten wir unsicheren Boden. Das leibhaftige Israel wird zum geistlichen, das heidnische Rom wird zum päpstlichen, und Ägypten wird zu …? Genau das ist die Frage. Was wird aus dem wörtlichen Südkönig im Zeitalter geistlicher Symbolik?
Die Bibel gibt uns einige deutliche Hinweise. Zuerst einmal: Was verkörperte Ägypten geistlich gesehen? Einen Ansatz finden wir in 2. Mose 5,2, wo der Pharao sagt: „ Wer ist der HERR, dass ich auf seine Stimme hören sollte, um Israel ziehen zu lassen? Ich kenne den HERRN nicht, und ich will Israel auch nicht ziehen lassen.“ Zum ersten Mal in der Bibel leugnet jemand öffentlich, den wahren Gott zu kennen.
Bei den Propheten ist Ägypten ein Synonym dafür, sich auf Menschen zu verlassen anstatt auf Gott. Jesaja schildert es so: „Wehe denen, die nach Ägypten hinabziehen, um Hilfe zu suchen, und sich auf Pferde verlassen und auf Streitwagen vertrauen, weil es so viele sind, und auf Reiter, weil sie sehr stark sind, aber auf den Heiligen Israels nicht schauen und den HERRN nicht suchen!“ (Jesaja 31,1) Auf Ägypten zu vertrauen bedeutet also, Gott zu verlassen und sich auf Menschen zu stützen. Das ist das Wesen des Humanismus.
In der Offenbarung ist die Verbindung zwischen Ägypten und Humanismus unübersehbar. In Kapitel 11 beschreibt der Apostel Johannes zwei Zeugen, die 1260 Tage lang mit Sacktuch bekleidet weissagen und am Ende einem speziellen Anschlag zum Opfer fallen. Adventisten interpretieren die zwei Zeugen als das Alte und Neue Testament, die in der Zeit päpstlicher Verfolgung nur im Verborgenen weissagten. Am Ende dieser Periode werden sie besonders durch die Französische Revolution angegriffen, die den Atheismus zum nationalen Glaubensbekenntnis machte. Johannes sagt, dieser Anschlag geschah an einem Ort, der „im geistlichen Sinn Sodom und Ägypten heißt“ (Offenbarung 11,8).
Im Gegensatz zur Amerikanischen Revolution war die Französische Revolution nicht nur gegen den König und die Monarchie gerichtet, sondern auch gegen Gott, Bibel und Kirche. Ellen White schreibt dazu: “Die ‚große Stadt’, in deren Gassen die Zeugen erschlagen wurden … heißt ‚geistlich … Ägypten’. Die biblische Geschichte sagt uns von keiner Nation, die das Dasein des lebendigen Gottes dreister verleugnete und sich seinen Geboten mehr widersetzte als Ägypten … Dies ist Gottesleugnung, und die durch Ägypten versinnbildete Nation sollte die Ansprüche des lebendigen Gottes in ähnlicher Weise verleugnen und den gleichen ungläubigen und herausfordernden Geist an den Tag legen. Die ‚große Stadt’ wird auch geistlich mit Sodom verglichen. Die Verderbtheit Sodoms in der Übertretung des Gesetzes Gottes bekundete sich ganz besonders in seinem zuchtlosen Verhalten.“ (Der große Kampf, S. 269). Ägypten wird also in der biblischen Prophetie gleichgesetzt mit dem Geist des philosophischen Materialismus, Atheismus und moralischen Relativismus, wie er sich in der Französischen Revolution offenbarte. Historiker sehen hier den Beginn der Moderne, deren Prinzipien des Skeptizismus, philosophischen Materialismus und Atheismus ihre deutlichste Ausformung im 20. Jahrhundert im System des Kommunismus fanden.
Der Kampf der Könige
Der Kommunismus ist Vergangenheit, und einige Ausleger sehen in seinem Untergang die Erfüllung von Daniel 11,40. Der Text wird dann wie folgt interpretiert: „Und zur Zeit des Endes [1798 und danach] wird der König des Südens [wachsender Säkularismus, Darwinismus, Modernismus, moralischer Relativismus und Kommunismus] mit ihm zusammenstoßen, und der König des Nordens wird gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen [der Widerstand des „christlichen“ Westens gegen die materialistischen, totalitären Regierungen des Faschismus und Kommunismus]. Und er wird in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten [der endgültige Untergang des Kommunismus durch verschiedene westliche Staaten, besonders Amerika und das Papsttum].“ (Daniel 11,40; Elberfelder)
Die Beteiligung des Papsttums am Fall des Kommunismus in Europa und der Sowjetunion ist keine Vermutung adventistischer Evangelisten. 1992 erschien eine Ausgabe des Time Magazine mit dem Titel Holy Alliance (Heilige Allianz), die ein Bündnis zwischen Amerika und dem Papsttum als Ursache für den Fall des Kommunismus beschreibt. Der König des Nordens „wird gegen ihn anstürmen“. Ein gewaltiger Sturm kann ein Gebäude in kürzester Zeit zum Einsturz bringen. War das nicht so mit der Berliner Mauer und dem Ende des Kommunismus in Europa?
Obwohl der Kommunismus weitgehend verschwunden ist, lebt der Geist des Südkönigs weiter. Er steckt noch immer in der Philosophie des Säkularismus, welcher die Existenz Gottes vielleicht nicht gänzlich ablehnt, dafür aber die Gültigkeit seiner Gesetze, moralischer Wahrheit und absoluter Werte. Diese Weisheit zeigt eine gewisse „Friedfertigkeit“: „Ich bin okay, du bist okay, du richtest mich nicht, und ich richte dich nicht.“ Aber es ist keine „reine“ Weisheit. Die Existenz reiner Wahrheit oder Maßstäbe lehnt sie ab.
Zwei Systeme prallen also aufeinander – der moralistische, absolute Norden, der als Richter und Unterdrücker auftritt, und der amoralische, individualistische Süden, der zu Gesetzlosigkeit und Sittenverfall neigt. Welcher König ist der gute? Keiner, denn beide bedrohen die Freiheit. Der eine lehnt die Wahrheit ab, die uns frei macht; der andere rechtfertigt mit der „Wahrheit“ den Raub unserer Freiheit. Das sollte uns davor warnen, auf einer dieser beiden Seiten politisch Stellung zu beziehen.
Der Kampf zwischen Nord- und Südkönig ist alles andere als ein verstaubtes Auslegungsproblem des letzten Jahrhunderts. Er ist nicht weniger aktuell als die letzten Wahlen und beschreibt die Spaltung der USA in rote und blaue Bundesstaaten. Die Republikaner sind nicht der Nordkönig und die Demokraten nicht der Südkönig (die Demokraten sind momentan überhaupt kein König …). Aber die gegensätzlichen Weltanschauungen hinter diesen Parteien verkörpern letztendlich den Geist und die Lehren der Könige aus Norden und Süden.
Republikaner haben bewiesen, wie sie im Namen von Sicherheit und Allgemeinwohl im Krieg gegen den Terror einen moralischen Absolutismus beschwören können, der die Verletzung persönlicher und Verfassungsrechte rechtfertigen soll. Demokraten sind in ihrem Dauerkampf für Abtreibung und Homosexuellenehe nur zu willig, alle absoluten Werte aufzugeben. Der Schutz von Leben und Familie ist keine rein persönliche oder Glaubensfrage, sondern hat erheblichen Einfluss auf das bürgerliche Leben, woran der Staat ein gewisses berechtigtes Interesse hat. Wo genau hier die Grenzen verlaufen, darüber mögen Christen streiten, aber dass Grenzen notwendig sind, darüber dürfte unter ihnen Einigkeit herrschen.
Es gibt in beiden Parteien besonnene Politiker, die Extreme ablehnen und einen gesunden Ausgleich zwischen Wahrheit und Freiheit anstreben. Aber diese Leute werden immer seltener. Die meisten Politiker unterliegen der Versuchung, sich den wortgewaltigsten ihrer Parteigenossen anzuschließen.
Wer gewinnt, der Norden oder der Süden?
Wenn wir uns die politische Landschaft ansehen, dann zeigt sich, dass die Könige aus Norden und Süden beide die Freiheit untergraben. Aber von welcher Seite droht größere Gefahr? Wer wird den Kampf zwischen Nord und Süd für sich entscheiden? Es ist der König des Nordens. Er überflutet den Süden (Daniel 11,40) und steht in der letzten Schlacht nur noch der Allmacht Michaels gegenüber. Auch in Offenbarung 13 ist Gottes Gegner im letzten Kampf eine Macht, die falsche Anbetung per Gesetz und mit Gewalt durchsetzt – typische Merkmale des Nordkönigs.
Wenn wir wissen, woher die Bedrohung kommt, können wir uns besser vorbereiten. Wie können wir dem sittlichen Übereifer und der Absolutheit, die im Namen von Sicherheit und Rechtschaffenheit die Freiheit begraben, entgegentreten, ohne auf die Seite des Südkönigs zu rutschen und scheinbar Relativismus, Gesetzlosigkeit und ein mangelndes moralisches Rückgrat zu begünstigen?
Das Heiligtum – Freiheit und Moral
Die Frage nach der gesunden Mitte, dem Weg himmlischer Weisheit, jener Weisheit also, die rein und friedfertig ist, findet ihre Antwort in der Heiligen Schrift: „Gott! Dein Weg ist im Heiligtum.“ (Psalm 77,14) Adventisten sollten mehr als jeder andere die Tiefe der Heiligtumslehre zu schätzen wissen. Aber oft beschränken wir uns darauf, sie vor Angriffen zu verteidigen. Das Heiligtum hat in dem Kampf zwischen Gottes Volk und den Königen aus Nord und Süd eine zentrale Bedeutung, und ich glaube, diese Bedeutung nimmt nur weiter zu, je näher wir dem Ende kommen.
Das Heiligtum und der Nordkönig
Als der Nordkönig im Mittelalter auf dem Höhepunkt seiner Macht Menschen im Namen Gottes und der Wahrheit verfolgte, war es die Heiligtumsbotschaft, die den Reformatoren den Durchbruch zur Freiheit brachte. Ein Historiker schreibt: „Indem Luther und Calvin behaupteten, jede ‚individuelle’ Seele sei für sich selbst verantwortlich, entwanden sie der traditionellen Ordnung einen neuen Typus Mensch und stellten ihn … als reformiertes Individuum in eine reformierte Welt. Die Lehre vom ‚allgemeinen Priestertum’, wo jeder seinen geistlichen Stand direkt vor Gott verantwortet … tat erstaunliche neue Perspektiven auf … Das neue Individuum erwies sich als Meister der Neugründung von Glaubensgemeinschaften, Konfessionen und sogar kompletten Kommunen.“ (Page Smith, Religious Origins of American Revolution, S. 2f)
Welche Lehre hat diesen massiven kulturellen und politischen Umbruch ausgelöst? Das „allgemeine Priestertum“. Die Tatsache, dass wir durch Christus direkten Zugang zu Gott haben und priesterliche Verantwortung für Gebet und Bibelstudium tragen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Heiligtumslehre.
Es klingt so einfach und war so revolutionär. Die Schriften der Denker des 17. Jahrhunderts über religiöse Freiheit bezeugen immer wieder den Grundsatz, dass alle Christen die Verantwortung und Pflicht haben, die Bibel selber zu studieren und zu deuten. Das wird in vielen Fällen zum Hauptargument gegen staatlich durchgesetzten Glauben.
Wundert es da noch, dass der König des Nordens und das kleine Horn so fest entschlossen das Heiligtum angreifen? „Es werden auch von seinen Truppen zurückbleiben und das Heiligtum entweihen“, „und seine heilige Wohnung wurde verwüstet“ (Daniel 11,31; 8,11). Dass jeder Einzelne wichtig ist, weil er sich direkt an Christus im himmlischen Heiligtum wenden kann, stellte die mittelalterliche Welt buchstäblich auf den Kopf. Sie war nicht nur ein Angriff auf Päpste und Priester, sondern auch auf Könige und Fürsten. Diese Lehre erklärt zumindest zum Teil, wie aus mittelalterlichen Königen aus Gottes Gnaden ein Abraham Lincoln und seine „Regierung aus dem Volk, durch das Volk und für das Volk“ entstehen konnten.
Das Heiligtum und der Südkönig
Katholiken begründen ihre Haltung gegen das Priestertum der Gläubigen damit, dass es die Lehre und die Moral in Anarchie und Chaos führen würde. Zum Beweis deuten sie auf die Zersplitterung des Protestantismus und den westlichen Sittenverfall. Aber die Heiligtumslehre als Ganzes entkräftet diesen Einwand, besonders durch die Aspekte von Versöhnungstag und Gericht.
Als der König des Südens 1789 mit der Französischen Revolution und 1844 / 1859 mit der Niederschrift / Veröffentlichung von Darwins Origin of Species (Ursprung der Arten) begann, seine Truppen zu rekrutieren, begann Gott da nicht ebenso, den Menschen immer mehr die Augen für das Heiligtum zu öffnen? In der Tat, genau zu dieser Zeit wurde für eine kleine Gruppe Adventgläubiger „der Tempel Gottes im Himmel geöffnet, und die Lade seines Bundes [wurde] in seinem Tempel sichtbar“ (Offenbarung 11,19).
Was ist im Heiligtum? Die Bundeslade. Und darin? Gottes Gesetz. So führte Gott sein Volk zu einem tieferen Verständnis der Beziehung zwischen Gesetz und Gnade. Sie sahen, dass die Gnade das Gesetz nicht abschafft, sondern der Wegbereiter und göttliche Beistand ist, um das Gesetz zu halten. Sie erkannten, dass dafür das Sabbatgebot ein besonderes Zeichen ist, ein Zeichen der Schöpfermacht, durch die Gott sein Volk heiligt.
Aus dieser Sicht ist auch klar, dass nicht „alles relativ“ ist. Es existieren nämlich zehn einfache Regeln, nach denen Gott die Erde richten wird. Aber das Christentum hat diesen Zusammenhang größtenteils aus den Augen verloren. Sie lehnen das Gesetz ab und meinen, es sei nicht mehr gültig oder durch Menschen veränderbar oder nicht zu halten. Das Gesetz hat seinen gebührenden Platz in der praktischen Bedeutung des Heiligtums und dadurch generell in der protestantischen Theologie verloren. Die christliche Welt spürt das Manko und fordert jetzt, dass die Zehn Gebote in Justizgebäuden aufgestellt werden und ihre Durchsetzung einem schwerfälligen Staatsapparat übertragen wird.
Fazit
Aus Norden und Süden sind Könige im Anmarsch, und die meisten Amerikaner befinden sich irgendwo dazwischen in einem Gewissenskonflikt. Sie haben scheinbar nur die Wahl zwischen zwei Übeln – entweder Freiheit auf der Grundlage von moralischem Relativismus und Chaos; oder Sicherheit und Ordnung durch den Zwang von moralischem Absolutismus.
Für Siebenten-Tags-Adventisten liegt darin eine wunderbare Möglichkeit, einen dritten Weg aufzuzeigen. Es ist der Weg zu Christus durch das himmlische Heiligtum, wo die Freiheit des Einzelnen geachtet und geschützt, aber auch den Grundwerten von Gottes Gesetz verantwortlich ist. Doch diese absoluten Werte, zumindest die ersten vier Gebote, unterstehen allein der Gerichtsbarkeit des Himmels.
Das Evangelium von der Religionsfreiheit und das Evangelium vom himmlischen Heiligtum sind wie zwei Seiten einer Medaille. Diese Medaille zeigt einem hilflos verirrten und verwirrten Protestantismus einen Weg aus dem scheinbar unlösbaren Dilemma zwischen Freiheit und Moral.
Gott sei Dank, dass wir beides haben können! Unser Hoherpriester verwandelt unser Herz, ohne die Freiheit zu verletzen, die er mit seinem eigenen Blut erkauft hat.