38. Evangelischer Kirchentag in Nürnberg: „Sommermärchen des Glaubens“ oder Selbstauflösung der evangelischen Kirche?
Der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag ist Geschichte, laut ORF wurden 70.000 Besucher gezählt. Er fand vom 7. bis 11. Juni im fränkischen Nürnberg statt, einer Stadt mit über 530.000 Einwohnern. Nürnberg, ist laut Selbstbeschreibung des Kirchentages zwar „durch und durch evangelisch“, weil sich die Reichsstadt 1525 dem Luthertum angeschlossen hatte und dadurch seine protestantische Prägung bekam. Nun sei es aber doch auch eher katholisch, weil mit dem städtischen Wachstum auch der katholische Anteil der Bevölkerung merklich angestiegen sei. Was bleibt nach einem solchen Großereignis?
Protest der Metzger
Ist es mehr als der „Veggi-Eklat“, der dadurch ausgelöst worden sei, dass für Kirchentagsbesucher, die in Gemeinschaftsquartieren untergebracht gewesen seien, das tägliche Frühstück nur vegan oder vegetarisch angeboten wurde? Der Bild erschien genau dieses Ereignis wert, einer Millionenleserschaft nahegebracht zu werden, zusammen mit der Information, dass die Metzger aus diesem Grund den Handwerkergottesdienst am Samstag boykottieren würden. So habe in protestantischer Manier Konrad Ammon (66), Chef der Fleischerinnung Mittelfranken-Mitte und Landesinnungsmeister beim Metzgerhandwerk Bayern, protestiert: „‚Eine ideologisch getriebene Kirchengemeinschaft hat mit Christentum nichts mehr zu tun.‘ Dass die evangelische Kirche Vorgaben und Vorhaben der jetzigen Bundesregierung übernehme, sei für ihn nicht akzeptabel. Die widersprüchliche Doppel-Moral der Organisatoren dieser Großveranstaltung rege ihn besonders auf: ‚Fleisch und konventionell erzeugte Lebensmittel verbieten, aber Schnaps und Tabak an den Verkaufsständen anbieten und verkaufen, ist in Ordnung?‘“
Welch ein Segen!
Nun war das sicher nicht das einzige Berichtenswerte vom Nürnberger Kirchentag. IDEA zitiert das Resümee von Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern: „Ja, der Kirchentag war ein riesengroßer Erfolg! Meine hohen Erwartungen hat er jedenfalls noch übertroffen. Es war ein stark geistlich geprägter Kirchentag. Die Bibelarbeiten waren überfüllt. Es irrt, wer jetzt meint, dass das auf Kosten der Weltzugewandtheit, einschließlich ihrer politischen Dimension, ging. […] So konnten die 70.000 Teilnehmer mit Ticket und die vielen anderen, die an den frei zugänglichen Veranstaltungen teilnahmen, miteinander beten und zugleich leidenschaftlich über Klimawandel, Ukraine-Krieg, Demokratie und Gemeinsinn oder Umgang mit Flucht und Asyl sprechen und dabei die Kontroversen in einem Geist wechselseitiger Achtung und Wertschätzung austragen. Welch ein Segen! Welch ein Zeichen für die Gesellschaft als Ganzes!“
Zu ganz einem gegenteiligen Resümee dagegen kommt Andreas Späth, Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern. Auch ihn lässt IDEA zu Wort kommen, und er fragt: „Was ist Erfolg? Erfolg wird oft in Zahlen gemessen. Ist es ein Erfolg, wenn man 70.000 von erwarteten 100.000 Tickets verkauft? Ist es ein Erfolg, wenn man Lebensschützer – gerade in einer Zeit höchster Bedrohung, wie der geplanten Abschaffung des Paragrafen 218 und der Euthanasiedebatte – vom Kirchentag ausschließt? Ist es ein Erfolg, wenn man messianische Juden, also im Grunde die direkten Nachfahren z. B. unserer Apostel Petrus und Paulus, vom Kirchentag ausschließt und dann im Gegenzug auch noch die Zulassung judenfeindlicher Ausstellungen ernsthaft diskutiert? Ist es ein Erfolg, wenn ein großer Teil der Veranstaltungen weder glaubensstärkend noch glaubensweckend ist?“
Kirchentagspräsident ist gemäß Sonntagsblatt der frühere Verteidigungs- und Innenminister Thomas de Maizière. „Er wolle ‚die Meinungsblase aufstechen‘ und den Kirchentag öffnen“. Außer De Maizière, der in seiner Jugend laut Zeit ein jesuitisches Gymnasium besuchte, waren, wie traditionell auf Kirchentagen üblich, zahlreiche weitere Politiker zugegen. So seien vom konfessionslosen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bis zur Außenministerin Annalena Baerbock, die, wie Reitschuster zitiert, nach eigener Aussage zwar in der Kirche sei, aber nicht an Gott glaube, viele weitere hochrangige Politiker zum Kirchentag aufgetreten. Insgesamt wurden auf dem Kirchentag etwa 2.000 Veranstaltungen angeboten, „darunter Gottesdienste, Bibelarbeiten, Konzerte und Podien“, berichtet IDEA und erwähnt die Programmpunkte Hip-Hop, Lobpreis und Jazz, Yoga, Tee und Klimawandel. Auch der Christustag Bayern, organisiert vom Arbeitskreis Bekennender Christen in Bayern (ABC), wurde in den Kirchentag integriert.
Evangelischer Kirchentag – oder Parteitag der Grünen?
Also alles schön und gut? Tobias Hartmann von IDEA schreibt dazu: „Wer gute geistliche Nahrung suchte, konnte sie in dem umfangreichen Programm finden. Da gab es etwa den in den Kirchentag integrierten Christustag Bayern oder den Gottesdienst des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, da gab es unzählige kleinere Andachten, Konzerte und Gebetsveranstaltungen.
Aber es gab auch […] die Lebenslüge, der Kirchentag sei ein ernstzunehmendes politisches Forum. Dort fänden offene Diskussionen statt, heißt es. Dort gebe es eine vorbildliche Streitkultur. Von dort gingen wichtige Impulse für die gesellschaftlichen und politischen Debatten aus. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Die Wahrheit ist: Wenn es auf einem Kirchentagspodium tatsächlich mal eine interessante politische Diskussion gibt, ist das ein Ausrutscher. Die Kirchentagsregie tut ihr Möglichstes, um so etwas zu verhindern. So breit das theologische Spektrum des Protestantentreffens ist, so schmal ist sein politisches. Da markieren die Grenzen des grünen Weltbildes auch die Leitplanken für die erlaubten Kontroversen.“
Der gleichen Meinung ist auch Ulf Poschard, deutscher Journalist und Buchautor, seit September 2016 Chefredakteur der „Welt-Gruppe“. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk bringt er zum Ausdruck, dass der Kirchentag eine Veranstaltung geworden sei, „in der ein grüner Parteitag und ein evangelischer Kirchentag kaum noch zu unterscheiden sind.“
Ja zu Waffen und sexueller Revolution
Der Schwenk, den die Grünen gemacht haben, von einer einstmals pazifistischen Bewegung zu einer derzeitigen Bejahung von Waffenlieferungen in die Ukraine: Diesen Schwenk macht auch der Kirchentag mit. Der Bayrische Rundfunk meint: „‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ - so lautete Jahrzehnte lang das Credo bei Kirchentagen. Doch seit dem Angriffskrieg Russlands hat sich die Stimmung gedreht. Pazifisten weht nun ein rauer Wind entgegen - und es gibt Applaus für Waffenlieferungen.“
Der grünen Agenda folgend nehmen auch sexuelle Identitätsfragen auf dem Kirchentag breiten Raum ein. IDEA dazu: „In Bibelarbeiten wird die Bibel ‚queer gelesen‘. Und das Zentrum Geschlechterwelten fragt: ‚Brauchen wir eine sexuelle Revolution?‘. Vertreten ist dort etwa das Netzwerk polyamore Menschen und Kirche. People of Color und queere Personen diskutieren darüber, ob Kirchen sichere Orte sind. Auf einem weiteren Podium spricht die transsexuelle Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer (Grüne) über geschlechtliche Selbstbestimmung. Und im Workshop ‚Polyamorie – was – wie? Hauptsache Konsens‘ werden Formen der Nicht-Monogamie vorgestellt.“
Abschlusspredigt: „Gott ist queer!“
Die Abschlusspredigt des Kirchentages kann in weiten Teilen als treffender Abriss des Kirchentages betrachtet werden. Pastor Quinton Ceasar, gebürtiger Südafrikaner und seit einem Jahr evangelischer Pfarrer in Wiesmoor bei Aurich, predigte: „‚Wir vertrauen eurer Liebe nicht. Wir haben keine sicheren Orte in euren Kirchen.‘“ Warum das so ist und was zu tun wäre, damit sich das ändert, sagt er nicht. „Stattdessen rollt Ceasar ein politisches Programm aus. Seine Forderungen kommen völlig unvermittelt, haben nichts miteinander zu tun und werden auch nicht begründet: 1. Wir sind alle die Letzte Generation. 2. Schwarzes Leben zählt immer. 3. Gott ist queer. 4. Wir schicken ein Flüchtlingsschiff“, fasst IDEA zusammen.
Schafft sich der Protestantismus selber ab?
Motto des Kirchentages war übrigens „Jetzt ist die Zeit“ in Anlehnung an Markus 1,15: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Auf dem Kirchentag 2023 war Zeit für Politiker, Waffenlieferungen, sexuelle Revolution und einen queeren Gott. Von Umkehr, Buße und Evangelium war wenig zu vernehmen.
Es sieht so aus, als ob der Protestantismus gerade dabei ist, sich mit aller Macht selber abzuschaffen.
StpH, 20.06.2023, 8:34 Uhr