Auch nach 30 Jahren Mauerfall: Deutschlands Osten bleibt gottloseste Gegend
Am neunten November jährte sich der Fall der Berliner Mauer zum 30. Mal. Anlass genug für die breite Medienlandschaft, in verschiedensten Rückblicken zu erörtern, wie weit die Wiedervereinigung tatsächlich vorangeschritten ist. Während Deutschland einer Studie zufolge etwa in Sachen Bildung oder Konsum weiter zusammenwächst, existieren in anderen Bereichen noch immer gravierende Unterschiede zwischen den Alten und den Neuen Bundesländern. Im Osten verdient man weniger, die Kaufkraft ist entsprechend geringer, es gibt mehr Arbeitslose und mehr Vorbehalte gegen Ausländer.
Doch schon einmal ist in Ostdeutschland eine historische Wende eingeleitet worden. Vor etwa 500 Jahren waren es Städte wie Eisenach, Magdeburg oder Leipzig, in denen zuerst das Mittelalter begraben wurde. Es war die Zeit der Reformation, die nach Ansicht der meisten Historiker die Epoche der Neuzeit einläutete.
Im heutigen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg fasste die Reformation Fuß und breitete sich von dort in alle Teile des Landes aus. Über Jahrhunderte hinweg sollte der Osten Deutschlands die Hochburg des Protestantismus sein.
Doch was ist heute davon übrig? Mehr als die Hälfte der Ostdeutschen bezeichnen sich als Atheisten. Nur noch jedes achte Kind wird religiös erzogen. Im Westen ist es immerhin jedes Dritte. Dort zählt man auch fünfmal (!) weniger Atheisten als im Osten. Einst die Spitze der Reformation ist das Gebiet der ehemaligen DDR heute die gottloseste Gegend der Welt. Die erschütternde Wahrheit: Nirgendwo sonst in der westlichen Zivilisation glauben so wenige Menschen an Gott wie in Ostdeutschland.
Man mag meinen, dieses Phänomen sei lediglich auf die sozialistische Religionsfeindschaft des DDR-Staates zurückzuführen. Und in der Tat sagten vor dem Bau der Mauer 1961 noch 90 Prozent der Ostdeutschen, sie würden an einen persönlichen Gott glauben. Doch die Ursache für die ostdeutsche Gottesferne auf die Umstände in der DDR zu reduzieren, wäre zu kurz gedacht. Denn tatsächlich hat sich mit zunehmendem zeitlichem Abstand zur DDR deren Atheismus sogar verschärft. Das ehemals hochprotestantische Ostdeutschland durchläuft einen unnachahmlichen Säkularisierungsprozess, der durch die DDR-Zeit zusätzlich beschleunigt wurde.
Zwar ist diese Tendenz in fast allen Industrienationen zu erkennen, doch ist sie im Osten Deutschlands besonders akut. Von der Speerspitze der Reformation zum Herz des Atheismus: Der Osten braucht eine Rückbesinnung auf seine reformatorischen Wurzeln. Was der Osten jetzt braucht, ist eine neue Erweckung.