Die Kunst des Vergessens
Haben Sie sich schon einmal gewünscht, sich Dinge besser merken und behalten zu können? Beim Erlernen einer neuen Fremdsprache oder vor einem Examen gibt es kaum etwas Lästigeres, wenn Dinge, die man meinte, bereits gelernt zu haben, am Ende doch nicht in den grauen Zellen abgespeichert waren. Wo habe ich denn mein Gegenüber schon einmal gesehen, und wie war doch gleich der Name?!
Nun gibt es aber auch Wissenschaftler, die sich in ihrem Forschungsgebiet eben dieser Kunst des Vergessens widmen. Einer davon ist der Neurologe, Psychiater und Gedächtnisforscher Scott A. Small, Professor an der New Yorker Columbia University, welcher als Direktor des dortigen Alzheimer-Zentrums einer der wichtigsten Experten für Demenzerkrankungen ist. Über ihn schreibt der Tagesspiegel: „Er kennt die Schrecken des krankhaften Vergessens, also von Verschlechterungen des Gedächtnisses, die es den Betroffenen schließlich nicht mehr erlauben, ihren Alltag allein zu organisieren und die großes Leid für sie selbst und die ihnen nahestehenden Menschen mit sich bringen. Der Kampf gegen diese Art des Vergessens ist seine große Mission.“
Jahrelang bestimmte die Vorstellung, dass ein besseres Gedächtnis immer erstrebenswert sei, während das Vergessen verhindert und auf Biegen und Brechen bekämpft werden müsse, die Ausbildung und Karriere Smalls, der jahrelang im Labor des Gedächtnisforschers und Nobelpreisträgers Eric Kandel arbeitete. Inzwischen findet der Neurowissenschaftler diese „unbedingte Parteinahme für ein möglichst ‚gutes‘ Gedächtnis problematisch, denn „‚auf kognitiver Ebene sei das Vergessen ein Geschenk‘“, wie Small in seinem gerade auf deutsch erschienenen Buch „Vergessen – macht Platz für Wichtiges“ schreibt. „Das übliche, ‚normale‘ und gesunde Vergessen ist ein sinnvoller, überlebenswichtiger Mechanismus, der die Voraussetzung für zielführendes Denken und menschliche Kreativität bildet“, fasst der Tagesspiegel zusammen. Dafür habe die Natur zwei „molekulare Werkzeugkästen“ geschaffen, einen für das Gedächtnis und einen für das Vergessen. „Während sich die Fortsätze der astförmigen Strukturen von Nervenzellen, der Dendriten, vergrößern, wenn sich neue Gedächtnisinhalte bilden, und für eine stärkere Verbindung zwischen den Neuronen am Spalt zwischen den kommunizierenden Nervenzellen, den Synapsen, sorgen, läuft beim Vergessen ein umgekehrter Prozess ab: Die Fortsätze der Dendriten verkleinern sich. Das geschieht in unterschiedlichen Arealen des Gehirns, wie etwa dem Seepferdchen’ im Gehirn, dem Hippocampus, dem Ort der Gedächtnisbildung, sowie dem Neocortex und weiteren neuronalen Netzwerken.“
Besonders wichtig sei die Fähigkeit zu vergessen, wenn es um erlittenes Leid gehe. Wer das nicht vergessen könne, entwickele schlimmstenfalls „eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) […], zu deren Symptomen die Überflutung mit quälenden Erinnerungen gehört.“ Dies sei keineswegs nur Thema nach schweren, lebensbedrohlichen Krisen, sondern bisweilen auch im partnerschaftlichen Alltag. Selbst in im Allgemeinen durchaus glücklich verlaufenden Partnerschaften werde gelegentlich eine Pille gebraucht, die „das emotionale Vergessen erleichtert“, schreibt Small. Denn diese Form des Vergessens ‚befreit unseren Geist und ebnet den Weg für Vergebung‘.“
Sicher haben Sie das schon einmal gehört: „Vergeben ja, aber Vergessen nie.“ Dabei wäre, wie schon gesagt, gerade bei negativen Eindrücken auch das Vergessen so wichtig. Dass Vergessen möglich und sogar erlernbar ist, darauf verweist auch eineeine neue Studie von Forschern der Universität von Texas in Austin die im Dezember 2022 vom Business Insider zitiert wird. Darin werde deutlich, „dass wir durch Konzentration und Anstrengungen negative Erinnerungen absichtlich vergessen können. […] Jedoch werden noch weitere wissenschaftliche Arbeiten benötigt, um die gewonnen Informationen aus dem Laborexperiment auf das alltägliche Leben anzuwenden.“
Gott ist uns Vorbild, auch dann, wenn es um das Vergessen selbst der Fehler anderer geht. „Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen, und an deine Sünden will ich nie mehr gedenken!“, so steht es in Jesaja 43,25. Hiskia beschreibt die Erfahrung des Vergessens seiner Schuld in Jesaja 38,17: „Siehe, zum Frieden diente mir bitteres Leid; du hast ja meine Seele liebevoll umfangen und sie aus der Grube des Verderbens herausgezogen; denn du hast alle meine Sünden hinter deinen Rücken geworfen!“ Lassen Sie diese Erfahrung auch die Ihre werden! Bitten Sie Gott um Unterstützung, wenn Sie spüren, dass Sie damit allein überfordert sind. Gott, der Meister auch im Vergeben ist, wird Ihnen die Hilfe nicht versagen!
StpH, 4.04.2023, 9:30 Uhr