Gegen das Vergessen

Wer hat sich in der Schule nicht schon einmal die Frage gestellt: wozu brauche ich das in meinem Leben? Zum Beispiel: Geschichtsunterricht. Welchen praktischen Nutzen habe ich davon heute?

In Zeiten, in denen die rechtspopulistischen Parteien erstarken, scheint die Frage nach der Wichtigkeit von Geschichtsunterricht gar nicht mehr so weit hergeholt – denn er ist ein Mittel ‚Gegen das Vergessen‘ – damit sich Gräuel, wie sie z.B. in der Deutschen Geschichte begangen wurden, nicht wiederholen müssen.

Vom 15. auf den 16. April diesen Jahres brannte die historische Kathedrale Notre-Dame in Paris und wurde dabei teilweise zerstört. Der Bau der Kathedrale begann 1163 unter Bischof Maurice de Sully und Ludwig VII, und wurde in den 1360er Jahren fertiggestellt. Sie ist Maria, der Mutter Jesu, geweiht und beherbergt zahlreiche Darstellungen und Statuen von ihr.

Die Geschichte von Notre-Dame kreuzte im Jahre 1524 die Geschichte der Inquisition, welche selbst nur einige Jahrzehnte nach Baubeginn der Kathedrale ihren Anfang nahm. Pavane, ein Jünger von Lefevre verkündigte öffentlich, dass die Jungfrau Maria niemanden erretten kann. Als Buße musste er barfuß und geschoren am Weihnachtstag durch die Stadt ziehen zur Kathedrale Notre Dame und die heilige Mutter um Vergebung bitten. Er vollzog das Ritual, erkannte später aber seinen Fehler und widerrief ihn – woraufhin er auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde – ein Schicksal, welches kurze Zeit später auch dem Eremiten von Livry widerfahren sollte: Verbrennung vor der Vorhalle von Notre Dame.

1529 wurde die Verstümmelung einer der Marienstatuen als die Frucht der Lehren des Protestanten Berquin dargestellt. Auch dieser sollte in einer Prozession zur Kathedrale seinen Widerruf öffentlich verkündigen. Als leichte Strafe wurde ihm die Durchbohrung seiner Zunge und lebenslange Haft in Aussicht gestellt – falls er nicht widerrufen sollte, die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, welche einige Zeit später auch folgen sollte.

Notre-Dame ist nicht nur ein historisch-kulturelles Erbe – und wie wichtig uns als Menschheit diese sind, zeigen die über 1. Mrd. Euro, die für den Wiederaufbau der Kathedrale weltweit gespendet wurden. Notre-Dame ist auch ein Mahnmal für die Gräuel, welche die mittelalterliche Kirche begangen hat – einen Teil der Geschichte, den wir nicht vergessen sollten, damit er sich nicht wiederholt.

Wie wichtig der Blick auf die Geschichte ist zeigt auch der aktuelle Fall der Europawahl und der Äußerung von Annegret Kramp-Karrenbauer, Parteivorsitzende der CDU Deutschland. Ihre Aussage, dass man über Regelungen für Meinungsäußerungen in Wahlkampfzeiten nachdenken sollte, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Parteivorsitzende hat darauf in einem Tweet reagiert und schrieb:

Es ist absurd, mir zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen. Meinungsfreiheit ist hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten. #Rezo #Youtuber — A. Kramp-Karrenbauer (@akk) May 27, 2019

Hier sei die Frage gestattet, inwieweit freie Meinungsäußerung wirklich frei ist, wenn sie in bestimmten Fällen nicht gewährt wird. Ein Blick in das Geschichtsbuch kann auch hier eine Hilfe sein, derartige Wege der Einschränkung besser nicht zu betreten. Zudem hat es einen Nachgeschmack, wenn derartige Äußerungen von demokratischen Politikern kommen als Reaktion auf Angriffe auf die eigene Partei.

Im Hinblick auf die Gefahr, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen gilt eine Warnung von Ellen White aus dem Jahr 1893 besonders in unserer heutigen Zeit:

„Wir haben nichts zu befürchten, es sei denn, wir vergessen den Weg den uns der Herr geführt hat, und die Lehren, die er uns in unserer Geschichte gegeben hat.“


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