Sozialkreditsysteme kommen nach Europa

Wer das Dino-Survivalspiel The Isle spielt, bekommt als Belohnung kleine Drachen. Diese werden in der Welt der Spieler als Tokens bezeichnet; sie sind Wertmarken, Gewinn, Währung innerhalb des Spiels oder Belohnung, die man sammeln kann. Auch im Reich der Krypto-Währungen wird mit dem Begriff Token operiert. Welchen Zweck ein Token erfüllt, „entscheidet das Unternehmen oder die Person, die den Token generiert. Es kann alles Mögliche sein: vom Ansammeln von Geld bis hin zum Zugang zu bestimmten Dienstleistungen. […] Die Definition von Token ist jedoch viel breiter gefasst, da sie für Werte jeder Art stehen können“, beschreibt N26.com. Was für Menschen außerhalb der künstlichen Meta-Blase des neuen Internet-Universums Fremdwörter sind, ist für diejenigen, die in der Welt leben, in der sich die Surrealität des Internets mit dem wirklichen Leben immer mehr verknüpft, Alltäglichkeit.

Was bei kleinen und großen Anwendern spielerisch verwendet und positiv besetzt ist, wird schon seit geraumer Zeit von Politikern und Machthabern ganz ernsthaft eingesetzt, um Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was den jeweiligen Machthabern eines Landes als richtig und gut erscheint. Diesen Prozess nennt man Gamification. Gemäß dem Gabler Wirtschaftslexikon ist Gamification „die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung bei Anwenderinnen und Anwendern.“

Und damit kommt ein weiterer Begriff aus dem englischsprachigen Kosmos in unsere Welt: Das Nudging. Denn gute Vorsätze allein „reichen nicht aus, um sich gesünder zu ernähren oder mehr mit dem Rad zu fahren. Nudging soll helfen, Gewohnheiten ohne Vorschriften zu verändern. Auch Regierungen interessieren sich für diese Form der Verhaltensbeeinflussung“, erklärt der Bayrische Rundfunk. „Diese typischen menschlichen Fehleinschätzungen auszugleichen, ohne dass die Menschen es selbst merken, bezeichnet man als Nudging: Anstupsen statt Vorschreiben.“ Dieser, auch als „libertärer Paternalismus“ bezeichnete Stups von staatlicher Seite „weiß genau, was für den Menschen gut ist. Er handelt zum Wohl der Bürger und bringt sie auf den rechten Weg. Oberflächlich betrachtet entfaltet dieses Modell enormen Charme – in Wahrheit ist es ein Anschlag auf die Freiheit“, bringt es die FAZ auf den Punkt.

Dies passiert schon seit geraumer Zeit bei den sogenannten Sozialkreditsystemen, wie sie in China schon lange üblich und in der westlichen Welt in Verruf sind. Nun aber kommen sie nach Europa. „Es ist so weit: Ab Herbst gibt es auf europäischem Boden das erste Sozialkreditsystem. In Italien, in Bologna kommt es zum ‚Pilotprojekt‘. Tugendhaftes Verhalten wird Punkte bringen, die gegen Belohnungen eingetauscht werden können“, so titelte am 19. April 2022 tkp, der Blog für Science & Politik.

Bekannt war dieses System bisher aus Berichten über China, wo es sich einen in der westlichen Welt bis dato unrühmlichen Namen geschaffen hatte. So schrieb Heise 2017: „Die eigene Bevölkerung mit einem Big-Data-Projekt zu kontrollieren ist eines der Vorzeigeprojekte der chinesischen Regierung“ und zitiert die China-Expertin und Politikwissenschaftlerin Katika Kühnreich mit folgenden Worten: „‚Mit Gamification wird […] ein System geschaffen, bei dem sich die Bürger gut und geborgen fühlen‘. So habe die chinesische Regierung mit einem Punktewert für Bürger ein System ersonnen, mit dem einerseits das Verhalten der Bevölkerung umfassend überwacht werde. Statt jedoch andere Meinungen mit staatlichen Mitteln wie Inhaftierungen von Kritikern zu bekämpfen, werde mit dem Social Credit System der Bevölkerung ein Anreiz gegeben, sich aus eigenem Antrieb möglichst systemkonform zu verhalten.“ Dabei spielten die großen IT-Konzerne des Landes, wie der WeChat-Anbieter Tencent – eine Art chinesisches WhatsApp – oder Sesame Credit, eine Tochtergesellschaft des Handelskonzerns Alibaba, eine wesentliche Rolle. Besonders tückisch sei, dass der eigene Punktewert bei Sesame Credit auch von dem Punktewert der eigenen Freunde abhänge. So würden Menschen isoliert, die nicht dem Punkteschema entsprächen. Dennoch würde das System von der Bevölkerung überaus positiv gesehen – die Dienste würden als sinnvolle Ergänzung der Online-Dienste verstanden.

Laut einem fast zeitgleich erschienenen Beitrag von ZEIT-ONLINE würde dabei der gläserne AAA-Bürger erschaffen. Einstufungen wie bei Rating Agenturen, oder wie man es hierzulande von Waschmaschinen, Kühl- und Gefrierschränken gewohnt ist, wären die Folge. Über eine Smartphone-App kann sich jeder über den eigenen Punktestand informieren. Aber neben Behörden sollen auch Banken und Arbeitgeber, Vermieter, Einkaufsplattformen, Reiseveranstalter und Fluggesellschaften Einsicht in die Bewertung erhalten.

Nun also kommt diese fernöstliche Innovation auch nach Europa. Wie tkp berichtet, sei die App zunächst freiwillig und funktioniere ganz wie ein Sozialkreditsystem aus dem Lehrbuch. „Tugendhafte Bürger, die Müll trennen, die Öffis benutzen, keine Verwaltungsstrafen kassieren, werden ‚Punkte‘ sammeln. Welche Belohnungen man für die Punkte dann eintauschen kann, werde ‚derzeit definiert‘, sagte Massimo Bugano, der am Projekt arbeitet, der Zeitung ‚Corriere di Bologna‘. Ein bisschen Zeit hat die Stadtverwaltung von Bologna noch, das Projekt soll nach dem Sommer beginnen. Der Bürger wird damit erstmals in Europa sortierbar. Er wird eingeteilt in den guten, tugendhaften Bürger und den schlechten, getadelten Bürger.“

Tkp zitiert den französischen Journalisten Yannick Chatelain, der fragt: „Werden jene, die den Kriterien der herrschenden Ideologie oder das, was von einigen Politikern als tugendhaft angesehen wird, nicht entsprechen, zunächst durch den Entzug von Vorteilen bestraft, bevor sie an den Rand gedrängt werden? Was wird aus denjenigen, die sich nicht fügen wollen, die darauf beharren, ihr unveräußerliches Recht auf freien Willen auszuüben? … Man muss kein großer Visionär sein, um sich vorzustellen was passieren wird: Meiner Meinung nach wird es zunächst diejenigen geben, die mitmachen werden. Das Mitmachen wird von ihren Initiatoren – in einer extrem reduzierenden Weise (vgl. Wirtschaftskrise, Kaufkraft, ungewisse Zukunft) – als ein erster Beweis für den Bürgerwillen einiger dargestellt werden […] Was die Verweigerer betrifft, so werden sie möglicherweise ausgesondert.“

Was von Vielen als erstes Social Credit System in Europa betrachtet wird, ist aber kein Novum: In Bayern ist mit dem „Ökotoken“ längst ein ganz ähnliches System geplant. Darauf macht report24.news aufmerksam und verweist auf die Langfassung der „Klimaschutzoffensive“ von 2019, in der der Bürger mit dem Bayerischen „Nachhaltigkeitstoken“ bekannt gemacht wird. „Als Ziel wird die ‚Förderung von nachhaltigem Verhalten im Alltag mittels Belohnung von umweltbewusstem Handeln‘ angegeben. Der Token soll eine ‚Signalwirkung für Unternehmen und Bürger‘ entfalten (sprich: Es handelt sich um eine Erziehungsmaßnahme). Verantwortlich ist das Staatsministerium für Digitales.“ Ein Punkt der Kurzbeschreibung lautet: „Entwicklung eines Dokumentationssystems samt Bewertungsrahmen, bei dem Nutzer entsprechend ihres umweltbewussten Verhaltens Pluspunkte in Form der Nachhaltigkeitstoken sammeln können; diese können dann bei Partnern für Vergünstigungen eingesetzt werden (Theater, Schwimmbad, ggf. Biomarkt)“. Laut der Beantwortung einer Anfrage beim Bayrischen Landtag ist der „Ökotoken“ bislang allerdings noch nicht zum Einsatz gekommen. Die Maßnahme sei vor allem „aufgrund der Pandemiesituation ausgesetzt worden, insbesondere wegen der Bonusleistungen für umweltfreundliches Verhalten, die vorzugsweise analoge Aktivitäten betreffen sollen, wie z.B. den Besuch von Kultureinrichtungen o.Ä.“

Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben: Laut dem Maßnahmenpaket der Klimaschutzoffensive vom 15.11.2021 des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz soll der Ökotoken 2022 implementiert werden, der Verlauf sei „planmäßig“.

Auch Wien will nicht hintenanstehen und bietet den Kultur-Token. Wer in Wien zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, erhält eine Gutschrift in Höhe des eingesparten CO2 in Form von Tokens auf seine “Kultur-Token-App”gutgeschrieben. Diese App erkennt die Bewegungen der Teilnehmer „automatisch via Motion Tracking. Dabei erfasst das Programm nicht nur die zurückgelegte Strecke, sondern auch die Art der Fortbewegung“, erklärt token-information.com. Das Pilotprojekt befindet sich zur Zeit in der Testphase, die Ende Februar 2020 mit 1000 Freiwilligen gestartet wurde und zurzeit ebenfalls auf Grund Corona pausiert, jedoch bald weitergehen soll. „‚Wir haben einen Gamefication-Incentivierungsansatz gewählt, mit dem wir die Bürger der Stadt dazu bringen wollen, CO2 zu reduzieren‘“, verdeutlicht token-information.com Projektleiterin Christina Hubin. Auch mit Incentivierung wird ein Anreiz zur Motivation bezeichnet, etwas zu tun oder zu lassen.

Allen, die Sozialkreditsystemen kein Vertrauen entgegenbringen, sei versichert: Gott hat sein ganz eigenes Bewertungssystem. Da zählen nicht Angepasstsein und Konformität, sondern Mut, Courage, Barmherzigkeit und Liebe. Gott manipuliert auch nicht, er offenbart seine Ziele klar und ohne Umschweife. Diesem Gott bin ich mit meinem Leben verantwortlich, dieser Gott ist es wert, dass ich mich ihm anvertraue. Menschliche Sozialkreditsysteme werden mit dieser Welt vergehen, Gottes Werte bleiben ewig.

StpH, 26.04.2022, 9:17 Uhr


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